Was ist fotografische Qualität in der Reisefotografie? Diese Frage wird nie zu Ende diskutiert werden können. Aber es lohnt sich immer wieder neu, darüber zu sprechen. Ja, ich weiß, dass mein Liebe zu den klassischen Kriterien von Cartier-Bresson überholt ist. Und deshalb habe ich mir den MERIAN Sachsen gekauft. Ich dachte mir, dass „Deutschlands führende Internetseite für Reisen“ so die Meta-Beschreibung auf der Homepage, sicherlich dann auch den Maßstab legt.
Betrachtet man das Titelfoto, dann ist es dort gelungen, eine malerische Landschaft festzuhalten. Auf Seite 16/17 ist dann ein Foto von Bautzen zu sehen. Die auf dem Foto vorhandene Linienführung brachte mich dazu, die Frage zu stellen, ob denn die Türme gerade sind? Ob das ein perspektivisches Problem ist, wenn man mit einem Weitwinkel fotografiert, kann ich wohl nur bei einem Besuch vor Ort klären.
Auf Seite 18/19 kommt dann ein wunderbares Foto mit Elbe, Kindern und Schiffen zum Vorschein. Leider ist es so, dass hier wie so oft die Grenzen des Drucks zum Vorschein kommen, da es ja in der Mitte geknickt wird wegen der Heftung. Schöner wirkt auf mich das Foto auf Seite 20/21 mit dem Nationalpark. Ich persönlich hätte mir mehr Mitteltöne gewünscht, aber das ist sicherlich Geschmackssache.
Das Foto auf Seite 28/29 unter den Arkaden von Görlitz brachte mich dann doch sehr zum Nachdenken über gerade Linien und mögliche optische Verzerrungen. Die Atmosphäre auf dem Foto gefiel mir sehr gut.
Ab Seite 36 war in diesem Heft über Sachsen etwas sehr Kluges zu sehen. Das steht zwar nicht im Heft, aber mir kam dieses Thema in den Sinn beim Anschauen der Fotos: Es geht dabei um die Frage, wie man die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen beim Fotografieren wahrt. Wie wir ja alle wissen, darf niemand (verkürzt gesagt mit Ausnahme von Promis) gegen seinen Willen auf Fotos veröffentlicht werden, es sei denn, es handelt sich um öffentliche Ereignisse, wo der Einzelne nicht die Hauptperson ist. Das hat man in diesem Merian Heft dann auch – so weit ich das beurteilen kann – juristisch sauber gelöst. Ein Foto aus der Türkischen Kammer in Dresden zeigt zwar auch Personen beim Betrachten des Interieurs, aber alle sind unscharf. Auf gut Deutsch hat man dort länger belichtet, so dass die Fotos an den scharfgestellten Stellen gut belichtet waren und die Personen nicht mehr erkennbar gewesen sind.
Dasselbe Verfahren wurde auch auf anderen Fotos aus Ausstellungen und bei Aussenaufnahmen auf der Brühlschen Terrasse eingesetzt. Daß man damit auch wirklich gute Konstellationen herbeiführen kann, zeigt das Foto mit dem Werk „Der Denker“ von Rodin auf Seite 46.
Auf einem Foto auf Seite 58 über die Mädlerpassage stellte ich mir die Frage, ob die Personen dort wirklich so lang und dünn sind.
Ab Seite 64 folgt dann eine Reihe von Landschaftsaufnahmen. Das erste Foto zeigt sehr schön den Himmel mit interessanten Proportionen. Und beim weiteren Durchblättern fällt immer wieder auf, dass die meisten Personen durch längere Belichtungszeiten als Zuschauer nicht persönlich erkennbar gemacht wurden. Auf einigen Fotos scheinen die Personen mit einer Ablichtung einverstanden gewesen zu sein.
Auch auf dem Foto zum Thema „Das Märchen vom feinen Schlossleben“ hat man dies gelöst. Dort sieht man eine Servicekraft ins Zimmer gehen, aber eben von hinten, so dass ihre Persönlichkeitsrechte auch am Arbeitsplatz gewahrt bleiben. Auf Seite 88 sieht man eine Person von vorne, allerdings so klein, dass sie erst mit Vergrößerung direkt erkennbar wäre.
Für mich hat sich das MERIAN Heft unter fotografischen Gesichtspunkten gelohnt. Ich habe für mich persönlich festgestellt, dass sich die fotografische Welt weiterentwickelt hat. Nimmt man die hier veröffentlichten Fotos als Vergleich und Maßstab, dann kann ich jetzt mit gutem Gewissen Fotos veröffentlichen, die den veröffentlichten Realitäten bei Fotos heutiger Reisemagazine entsprechen.
Davon einmal abgesehen halte ich dieses Heft auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrung von Persönlichkeitsrechten für eine gute Studiermöglichkeit. Gerade dies ist ja ein altes Thema von mir, wenn auch eher im Bereich der Strasssenfotografie. Und eine elegante Lösung wie hier kann helfen, die Tücken der deutschen Rechtsprechung einigermassen fotografisch gut zu überstehen und trotzdem auch gute Fotos zu machen.
Aber es gehört eben auch zu der deutschen Rechtsprechung, dass ich hier die Fotos nicht zeigen kann sondern nur darüber schreiben darf. Das ist aber nicht weiter schlimm, weil der Kauf der Ausgabe sich in jedem Fall mehrfach lohnt: erstens weil sich ein Besuch in Sachsen lohnt und zweitens weil bei diesem Heft meiner Meinung nach fotografische Lernerfolge eingeschlossen sind.
Übrigens, sollten Sie das hier Gelesene ergänzen wollen, dann ist hier eine gute Möglichkeit, Kommentare abzugeben.