Photo Wisdom, Große Fotografen über ihr Werk von Lewis Blackwell


Es gibt große Bücher und es gibt großartige Bücher. Dieses Buch ist großartig – und groß. „Dieses Buch soll das hintergründige Wissen, ja die Weisheit offenbaren, die oftmals in Fotos stecken. Vergleichen Sie ruhig Fakten und Meinungen von Experten, prüfen Sie deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede. So können Sie nicht nur die Wege der bekanntesten Fotografen verfolgen, sondern auch über ihren eigenen Weg nachdenken, den Sie möglicherweise einschlagen möchten.“

Diese Worte aus dem Vorwort von Lewis Blackbell zeigen, was das Buch leisten soll und auch leistet. Insgesamt werden 50 Fotografen und Fotografinnen durch Interviews und mit Fotos vorgestellt. Es ist ein Querschnitt durch viele Richtungen und Versuche der Fotografie.

„Wir sind Fotografen voller Zweifel. Als wir anfingen, arbeiteten wir eher traditionell – wir verstanden uns als Dokumentaristen, die gesellschaftskritische Dokumentarfotografie produzierten. Wir glaubten an die Möglichkeit der Fotografie. Aber auf unserem Weg begannen wir den Glauben zu verlieren. Jedes Mal, wenn jemand fotografiert wird, gibt es ein verstecktes Versprechen. Er oder sie hofft, dass das Fotografiertwerden das eigene Leid irgenwie lindern wird. Wir können dieses Versprechen nicht erfüllen… Wir haben zu Beginn nicht selbst fotografiert. Wir haben vielmehr über Bilder nachgedacht, und diese betrachtet. Beide haben wir nie Fotografie studiert, sondern haben Abschlüsse in Philosophie und Soziologie. Als Herausgeber des Magazins Colors haben wir zum ersten Mal zusammengearbeitet, so begann unser Wissen über die Welt und die Fotografie – eher durch Betrachten und Nachdenken als durch Machen.“

So schildern Adam Broomberg und Oliver Chanarin, die bekannt wurden als Herausgeber der Benetton Zeitschrift, ihren Ansatz und ihren Weg zur Fotografie. Als Foto findet sich im Buch dann eine Fotografie von einem Baumblatt und die Unterschrift „Ficus religiosa, Tel Aviv, Israel. Als sich der 16-jährige Palästinenser Aamer Alfar auf einem Tel Aviver Markt am 1. November 2004 in die Lunft sprengte, wurde dieses Blatt von der Wucht der Explosion auf den Boden geschleudert. Vollkommen kahle Bäume sind in der Umgebung solcher Anschläge ein gewohnter Anblick.“

Die nächsten Fotografen sind Adam Fuss, Albert Watson, Ami Vitale und Andrew Zuckerman, dessen Portraits von Tieren und Menschen aus jeder Ablichtung eine individuelle Persönlichkeit machen. Arno Rafael Minkkinen und Art Wolfe, Chuck Close aber auch David LaChapelle haben hier ihren Platz. LaChapelle inszeniert Fotos, die wirken wie große Bilder aus früheren Epochen, manchmal ein bißchen übersät mit zu schönen Menschen wie ich finde, aber das gehört auch dazu.

An einer anderen Stelle treffen wir auf Duane Michals. Sie sagt: „Ich habe das Fotografieren nicht an einer Akademie gelernt. Ich wollte nie Reportagefotograf oder etwas Ähnliches werden. Ich wurde zufällig Fotograf.“ Das scheint in vielen Fällen so zu sein. Wenn ich in dem Buch blättere, dann ist es so, dass sehr oft diejenigen „groß“ sind, die keine Ausbildung als Fotograf haben sondern aus anderen Feldern kommen oder reine Autodidakten sind.

Später kommen Edward Burtynsky und Elliott Erwitt, Graham Nash, Erwin Olaf und Fazal Sheikh zu Wort. Fazal Sheikh sagt: „Durch das Fotografieren habe ich die Chance, mich intensiv mit Themen zu beschäftigen, die ich nicht vollständig verstehe.“ Doch damit haben wir erst ein Drittel des Buches durchforstet.

Dann treffen wir auf Mark Seliger, der schildert, wie er aus einer Idee ein Foto macht, wie das Foto von Sacha Baron Cohen, Atlantic Beach, New York. Dort sitzt er in einem Abteil und liest eine Zeitung voller praller Brüste und neben ihm schaut ein Mann, der eine normale Zeitung hochhält, gebannt ebenfalls dorthin.

Ich treffe später Massimo Vitali, dessen Fotos von Menschen am Strand (wobei es meist um die neue „Natur“ geht), eine Realität dokumentieren, die partiell zugleich die Illusionen der Fotografierten impliziert.

Was soll man über ein Buch sagen, das eine unerschöpfliche Quelle an Anregungen und Lernhinweisen für das eigene fotografische Denken ist? Früher gab es Bücher über große Denker oder große Herrscher. Das Buch über „große“ Fotografen ist insofern anders als vielfach dieselbe Qualität und Originalität von vielen erreicht werden kann, auch wenn man nicht immer so populär wird. Es ist eine Sammlung von Anregungen sich des eigenen Verstandes zu bedienen und den eigenen Weg zu finden.

Man ist nicht besser, wenn man populärer ist, man ist eben einfach populärer. Insofern ist dieses Buch ein wunderbares Geschenk für die eigene Schulung und den eigenen Weg. Gerade weil so viele verschiedene Menschen offen über ihre fotografische Entwicklung sprechen, kann es befreien, den eigenen Gedanken endlich seine eigene Richtung zu geben.

Das Buch ist international und sprengt daher das enge deutsche Denken. Es ist ein sehr seltener und gelungener Versuch, gedankliche Tiefe und fotografische Praxis zusammenzufassen. Und es ist als substanzieller Querschnitt trotzdem mit dem Mut zur Lücke gemacht. Das zeigt Größe.

Das Buch ist eine wirklich gelungene Veröffentlichung. Es bietet die Chance, mehr fotografisch zu lernen als in vielen Seminaren. Ein wirklich gutes Geschenk für sich selbst und andere. Man kann einen Teil des Buches online anschauen, um sich einen Einblick zu verschaffen.

Photo Wisdom
Große Fotografen über ihr Werk
von Lewis Blackwell
ISBN: 978-3-941459-13-7

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