Der digital programmierte Mensch 2.0
Es verändert sich was. Heute sprach ich mit einer Kindergärtnerin (die heute auch anders heisst). Sie sagte mir, dass sie früher eine Gruppe mit zwei Kindergärtnerinnen und neun bis 15 Kindern waren. Heute sind in der Gruppe neben den zwei Kindergärtnerinnen noch eine Psychotherapeutin, eine Logopädin und noch eine weitere Spezialistin. Und die Kinder können weder Spiele wie „Mensch ärgere dich“ noch einfach in der Gruppe miteinander zurecht kommen. Es werden zunehmend sog. Störungen bei immer mehr Kindern gefunden. Aber sie haben fast alle ein Handy, eine Spielekonsole, einen Fernseher und weitere digitale Geräte.
Es entstehen neue Menschen, die 2. Generation digital. Sie wachsen in eine Welt, die sie von klein auf mit Bildern prägt. Der Stellenwert des Bildes wird alltäglich und banal in einer Weise, wie es früher nicht der Fall war. Auch früher gab es Bilder. Aber es war anders.
Heute im Bus und an der Universität erlebe ich fast nur Menschen, die ein Handy in ihrer Hand halten. Musik hören im Bus, zwischendurch SMS tippen und neue Nachrichten abrufen oder kleine Videos anschauen. Man spricht nicht miteinander eher nebeneinander. Man spricht über sichtbare (oder hörbare) Dinge. Handys und Computer sind die neuen Zauberwerkzeuge. Sie sind die neue Normalität. Es ist die 1. Generation digital. Zunehmend ist derjenige unnormal (entspricht nicht der Norm), der dies nicht lebt oder hat.
Man ist online und glaubt, man sei dabei und oft auch noch informiert. Es ist die perfekte Augenzeugenillusion und vielleicht schon die Angst, einmal offline zu sein (nicht biologisch sondern digital!).
Neue Wirklichkeit
Diese Worte sind der Versuch, eine neue Wirklichkeit ins Auge zu fassen. In der Geschichte sprechen wir vom Zeitgeist einer Epoche. Hier handelt es sich um Schilderungen zum Zeitgeist dieser Epoche.
Da passt natürlich ein Gedanke wie der, dass man Erlebnisse sofort digital teilen soll, besonders gut.
Aber es ist natürlich ein Irrtum so zu denken, weil dies erhebliche Auswirkungen hat auf Wahrnehmung und Verhalten. Die Welt als permanente Gegenwart reduziert den Horizont. Und nicht umsonst schrieb Neil Postman Bücher wie „Wir amüsieren uns zu Tode“.
Menschen bleiben Menschen – nur die Programmierung ändert sich
Heute erleben wir um uns herum eine Digitalisierung, die wenig an der Lage der Menschheit verbessert hat. Man könnte sogar vom Gegenteil ausgehen. In jedem Fall hat das Internet die Sicht auf die Welt erweitert und verändert. Aber die Menschen haben sich ja in ihrer Struktur nicht geändert sondern es gibt durch die digitale Welt veränderte Wahrnehmung und ein verändertes Verhalten. Und man kann schon die Folgen sehen.
Die neuen Menschen auch in ihrer Neuheit zu sehen kann vielleicht am besten von denen geleistet werden, die noch „alt“ sehen und „alt“ denken. Da bietet es sich an, dies alles mit digitalen Fotos festzuhalten, das Alte und das Neue, das Bestehende und das Veränderte.
Zeitgeist ist das, was die Menschen in einer Zeit denken und tun.
Es ist z.B. das,
- was man wahrnimmt,
- wie man sich verhält,
- welche Waren und Dienstleistungen angeboten werden,
- welche Architektur, welches Essen, welche Kleidung da sind,
- welche Gedanken vorherrschen
Das langfristige Projekt Zeitgeist ab 2012
Aus diesem Grund will ich ein Projekt beginnen, bei dem ich über einen längeren Zeitraum Fotos erstelle, die dies zum Thema haben.
Gedacht ist an den Zeitraum ab 2012. Ich stelle meine Sicht und meine Erlebnisse auf verschiedenen Webseiten dar und versuche so, die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie und viele andere Dinge des aktuellen Zeitgeistes zu finden.
Text 1.1
Nachtrag Jahre später:
Das Projekt ist in dieser Form beendet. Ein Teil ist sichtbar auf flickr und ein anderer hier.
Werde versuchen, etwas zu Ihrem Projekt beizutragen.
Ein Thema ist für mich die Umgestaltung der Stadt (konkret:Götttingen.Abrisse, Neubauten, Umbauten, Sanierungen. So eine „Sanierung“ a la Disneyland, wo nur zwei Fassaden stehen bleiben.
http://www.kpw-photo.com/Umbauten/Weender%20Str%2072-74.htm
Oder Geschäftsveränderungen im Einzelhandel, im Zuge des Generationswechsel bei Inhabergeschäften hin zur „Verkettung“. Zur noch härteren Veränderung der alten Dorfkerne(Leerstände, Verfall) habe ich leider als Radfahrer nur im Sommer Zugriff.
Ein anderes Thema sind Verhaltensveränderungen durch Mobiltelephone, da suche ich noch den bildlichen Zugriff.
Wären das Aspekte für Ihr Projekt?
Ich kann gerne von meiner Site auf „Zeitgeist“ einen Link setzen, wenn es aus Ihrer Sicht einen Sinn gibt.
MfG
KPW
Hallo Herr Wittemann,
Sie sind völlig frei bei der fotografischen Gestaltung. Es wäre schön, wenn Sie mitmachen. Das Gute bei Flickr ist ja, dass Sie die volle Kontrolle über ihre Fotos behalten und Sie einfach der Gruppe Zeitgeist2012 zuordnen können. Die Fotos in der Gruppe erscheinen dann automatisch bei Fotomonat.de. So kann eine fotografische Sammlung von eingefangenen Momenten entstehen als gemeinsames Projekt.
Hallo Michael, auch ich werde etwas dazu beitragen. Es ist ein interessantes Projekt.
LG Volker
Nun ist 2013.
Das Eröffnungsbild wäre meine Wahl, um den Zeitgeist 2012 zu visualisieren. In den 70er Jahren gab es eine Karikatur aus Frankreich, auf der Menschen herumrannten, die im Rücken den Aufziehschlüssel eines Spielzeugautos stecken hatten. Einer war aus dem Trott ausgebrochen, den Schlüssel rausgenommen und ihn fragend betrachtet. Heute wird gläubig geguckt. KPW