Liu Zheng oder Tod und Leben mit der Hasselblad

Liu Zheng - The Chinese - Cover

Liu Zheng hat in den 90er Jahren als Reporter bei Workers Daily in China gearbeitet. In der Zeit als Fotoreporter und danach machte er mit einer Hasselblad 501 Porträts von Menschen in Situationen und reiste durch China auf der Suche nach den Elementen der chinesischen Kultur und Geschichte.

Diese stellte er dann mit dem Titel „The Chinese“ aus.

Es ist der Versuch, ein Porträt über die Veränderungen des chinesischen Charakters darzustellen. Aber seine Fotos sind mehr. Sie sind echte Dokumentarfotografie zu einer Zeit in einem Land, in dem die Persönlichkeitsrechte anders gesehen wurden und die Menschen auch die Fotos noch anders sahen.

Liu Zheng sagt selbst, dass zu Beginn die Menschen sich freuten, wenn er fotografierte. Als er aber einige Jahre unterwegs war, wurden sie immer misstrauischer, die Leute fragten immer kritischer – und wollten Geld. Ähnliche Phänomene gibt es auch woanders. Das ist offenkundig einem neuen Bewusstsein geschuldet.

Doch zurück zu Liu Zheng. Menschen beim Sterben zu fotografieren, aufgebahrte Leichen, Leichenteile, Massengräber, Minenarbeiter unterwegs, im Bad, Frauen als Tänzerinnen, Drogenabhängige, schöne Frauen, die nackte Realität einer toten Frau (Bild 32), Gymnastik Qi Gong, Glaube und Götter und vieles mehr geben den Rahmen seiner Aufnahmen ab.

Er fotografierte überwiegend die existenziellen Situationen des Menschen, die Realität in Liebe, Leben, Lachen und Sterben. Und er vermittelt mit seinen Fotos die überkulturelle Wirklichkeit, die zeigt, dass Chinesen und andere Völker – wir alle – nur Menschen sind, die dasselbe Licht und denselben Schatten sehen – aber eingebettet in ihren kulturellen und zivilisatorischen Hintergrund.

Das ist bemerkenswert gute Dokumentarfotografie. Sie ist authentisch und sie ist dem Tag entnommen. Mir ist zudem bewusst geworden, dass Dokumentarfotografie noch etwas anderes kann. Dokumentarfotografie macht die Namenlosen zeitlos berühmt. Da kann kein Prominenter mithalten.

Und das beste daran ist, dass man sie hier sehen kann.

Das Ganze gibt es auch noch mal als Buch für alle, die es größer sehen wollen und mit mehr Hintergrundinformationen.

Und hier blättert auch noch jemand das Buch durch…

Die Fotosammlung „The Chinese“ ist beeindruckend und sie zeigt einmal mehr die dokumentarische Arbeit, die Fotografie leisten kann.

So wird aus Realität Geschichte und aus Geschichte Realität.

Interessanterweise ist das Buch über China in Deutschland gedruckt und damit ein Symbol für den Wandel auf der Welt.

In diesem Sinne – Zai Jian!

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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