Ich hätte nie geglaubt, dass der Presseausweis als Ausweis für Presserabatte indirekt zum Thema bei Transparency International wird.
Direkt geht es um die Privilegien für Journalisten. Das erinnert mich an meinen Artikel zum Thema Reisejournalismus.
Der „amtliche“ Presseausweis
Den amtlichen Presseausweis gab es zwar noch nie. Aber in den Köpfen vieler Menschen gibt es ihn bis heute noch. Wie schön, dass es da die wikipedia gibt. Ein Blick und schon findet man aktuell dort den Satz: „Da zwischen den Anwärtern und den vier Altverbänden keine Einigung zustande kam, beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) am 7. Dezember 2007, dass Presseausweise ab 2009 nicht mehr die Autorisierung der Innenminister auf der Rückseite tragen dürfen. Bis dahin war dort die IMK-Aufforderung vermerkt, den Ausweis-Inhaber bei seiner Arbeit zu unterstützen. Seit 2009 lautet die Formulierung: „Institutionen und Unternehmen werden gebeten, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.“
Was hier so lapidar steht heisst, es gibt seit 2009 keinen „amtlichen“ Presseausweis mehr. Das Grundgesetz schützt nun einmal die Pressefreiheit. Bis dahin war der Presseausweis ein Privilegiennachweis für Menschen, die hauptberuflich dafür bezahlt wurden, journalistisch tätig zu sein.
Und nun zitiere ich noch einmal aus dem Wikipedia-Artikel: „Am 5. Mai 2006 beschlossen die deutschen Innenminister darauf hin, auch künftig „das Erfordernis der Hauptberuflichkeit“ als „Leitbild“ beizubehalten. Aus behördlicher Sicht sei es jedoch „sachgerecht“, auch solchen Journalisten den Ausweis zuzugestehen, „die nicht hauptamtlich, aber quantitativ und qualitativ vergleichbar regelmäßig und dauerhaft journalistisch tätig sind“.“
Wer ist Journalist?
Auf gut deutsch, jeder, der regelmäßig und dauerhaft journalistisch tätig ist, hat das Recht auf einen Presseausweis, auch ohne dafür bezahlt zu werden. So, und hier scheint es, fängt der Kampf um die Privilegien an. Soweit ich das verstehe und auch auf Nachfrage gehört habe, weigern sich die bisherigen Herausgeber dieser Presseausweise, Menschen einen Presseausweis auszustellen, die nicht hauptberuflich damit ihr Einkommen bestreiten. Offenkundig haben sich einige dieser Verbände unter www.presseausweis.org zusammengetan. Dort steht zu lesen: „…und zwar nur an hauptberuflich tätige Journalistinnen und Journalisten. Genau deshalb ist er anerkannt, anerkannt bei Behörden, in den Reihen der Polizei und bei vielen Unternehmen.“
Und tatsächlich, wer also vielfach und überwiegend journalistisch tätig ist,
- indem er als Rentner/Arbeitsloser/Einkommensloser kontinuierlich einen Blog betreibt, auf dem Informationen aufbereitet werden,
- an einer regelmässigen regionalen Zeitung mitarbeitet,
- Bürgerfunksendungen produziert,
- eigene Webmagazine und Publikationen aufbaut,
- Bürger- oder Studentenzeitungen mit herausbringt,
- als freier Journalist Artikel oder Internetbeiträge verkauft, aber davon nicht leben kann
und dies überwiegend und dauerhaft journalistisch tut, erhält nach der Logik der oben genannten Verbände keinen Presseausweis?
Ist das also keine professionelle Arbeit, weil sie nicht hauptberuflich ist?
Und dies in einer Gesellschaft, die den Verlust des Normalarbeitsverhältnisses systematisch ausbaut?
Das entspricht in keinster Form dem Grundgesetz und auch nicht den darauf aufbauenden Beschlüssen vom 5. Mai 2006 – oder doch?
Denn man braucht diese Verbände gar nicht. Der Presseausweis ist nicht geschützt. Daraus folgt, dass jeder sich selbst einen Presseausweis ausstellen oder besser von seinem Medium oder Verein ausstellen lassen kann.
Diese sind ebenso „gültig“ wie alle anderen, wenn sie die oben aufgeführten Kriterien erfüllen.
Hinzu kommt heute noch, dass eine Webseite automatisch mehr Öffentlichkeit haben kann als eine gedruckte Zeitung, weil sie überall sofort und frei verfügbar sein kann.
Zum Teil beklagen dieselben Verbände, dass immer mehr Journalisten gar nicht mehr hauptberuflich davon leben können, sondern sich mit anderen Jobs finanzieren müssen. Und die Künstlersozialkasse spielt auch eine sehr fragwürdige Rolle, wie hier schon geschildert wurde.
Man könnte auch zu der Auffassung kommen, dass der Umgang mit Presseausweisen der unter presseausweis.org zu findenden Verbände eine Diskriminierung gegenüber allen Menschen ist, die journalistisch arbeiten, aber davon nicht leben können oder wollen, zumal der Presseausweis ja Zutrittsrechte und Informationsrechte ermöglichen soll, die man ohne den Ausweis nicht haben soll – oder eben Presserabatte, wie jetzt in den Fokus gerückt ist.
Was kann man daraus lernen?
Zuallererst, dass der Presseausweis dieser Verbände von presseausweis.org in erster Linie dem Nachweis der Festanstellung und der Hauptberuflichkeit dient und damit keine Aussage über journalistische Qualität und Reichweite getroffen wird.
Und darüber hinaus, dass jeder, der journalistisch dauerhaft – also immer wieder – arbeitet, das Recht auf einen Presseausweis haben sollte – unabhängig davon wieviel er/sie damit gerade aktuell verdient.
Genau an dieser Stelle setzen andere Anbieter an.
Da gibt es www.presseausweis.de, www.presseausweis.com oder auch www.dpv.org und www.djf-ev.de sowie etliche andere Anbieter. Sie bieten Presseausweise auch für Menschen an, die nicht vom Journalismus leben können oder wollen.
So produziert die Ausgrenzung zugleich einen neuen Markt mit neuen Angeboten für die neuen Formen des Journalismus und der Lebenswirklichkeiten.
Aber das ist noch nicht alles.
Presserabatte und Glaubwürdigkeit
Es hat schon was, wenn Transparency International sich zum Thema Journalistenrabatte äußert und die Reaktionen Bände sprechen…
Kluge und seriöse hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten könnten ja auch mal eine Serie über Privilegien machen, z.B. für Beamte, für Politiker etc. und dies dann als seriös recherchierte Arbeit publizieren statt über die Abschaffung eigener Privilegien zu klagen. Jetzt wäre der Zeitpunkt dafür.
Privilegien will man selten teilen und gerne haben. Und es scheint so zu sein, dass es beim Presseausweis weniger um den Zugang zu Ereignissen geht sondern eher um den Zugang zu Privilegien in Form von Rabatten – für hauptberufliche Journalisten.
Neue Zielgruppen?
Sind Presserabatte Leistungen ohne Gegenleistung?
Haben sich Rabattanbieter davon etwas versprochen wie eine Schere im Kopf, eine gute Presse, gesteigerte Aufmerksamkeit, gute Berichte – wer weiß?
Wenn sich Rabattanbieter jetzt nicht mehr so viel davon versprechen, dann könnte es einen Bedeutungsverlust der Presse geben und die Deutungshoheit liegt woanders oder wird eher digital an anderen Stellen errungen.
So könnten die von den Organisationen der traditionellen festangestellten Journalisten ausgeschlossenen (privaten/nebenberuflichen) Blogger zum Beispiel Teil der neuen Deutungsmacht sein, die man identifiziert hat und die man ansprechen will.
Mal sehen…
Nachtrag: Bei mediummagazin.de ist mittlerweile ein Artikel erschienen mit Stellungnahmen der meisten relevanten Organisationen, der eine fast ideale Ergänzung zu diesem Artikel ist.
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