Fotografie zwischen Algorithmus und App – und ohne Grenzen?

Haare und Blicke – Foto: Michael Mahlke

Persönliche Beobachtungen und Einschätzungen

Wir leben in einer fotografisch spannenden Zeit. Weil immer mehr von der Hardware auf die Software verlagert wird, verschmelzen immer mehr Bereiche. Es entsteht die digitale Softwarewelt. Dies hat Auswirkungen auf das Fotografieren und das Entstehen von Fotos. Die aktuelle Zeit scheint ein Meilenstein in dieser Veränderung zu werden.

Das Nokia 808 PureView

Symbol für die neue Zeit ist das Nokia 808 PureView. Das Handy setzt auch fotografisch neue Massstäbe und wird in meinen Augen den Wechsel von der Kompaktkamera zum Handy mit integrierter Kompaktkamera beschleunigen, zumal es im Gegensatz zur Kamera für Rechts- und Linkshänder gleichermassen geeignet ist.

Und es ist eben nicht nur eine Kamera sondern eine neue Technik für das Aufnehmen, die neue Wege nutzt. Durch Software Algorithmen wird  es möglich, Pixel zu bündeln und Fotos auf neuem Weg entstehen zu lassen, die scharf und klar sind. Algorithmen sind auch in Apps und sie haben etwas miteinander zu tun.

Die Apps

Am Anfang war das Programm, das Software-Programm. Wenn wir mit den DOS-Rechnern anfangen, dann gab es dort ein Betriebssystem, MS-DOS. Dieses Betriebssystem bestand aus einer Reihe von Programmen, die alle eine spezielle Aufgabe hatten. Eins regelte das Zusammenspiel von Tastatur und Zentraleinheit, ein anderes sorgte für die Zeichen am Bildschirm, das Programm Format.exe ist sicherlich auch noch einigen bekannt usw.

Was das Betriebssystem nicht hatte, wurde von Dritten angeboten. Spezielle Software zum Schreiben, Rechnen, Drucken etc. Darauf aufbauend entwickelte sich eine ganze Softwareindustrie und so wurde das Betriebssystem DOS immer flexibler.

Das gleiche Spiel erlebten wir bei Windows und später bei MACs. Aber diese Betriebssysteme boten immer mehr Programme schon direkt dabei an, integriert. Als die Prozessoren immer schneller wurden und die Rechner immer kleiner und dann der Rechner mit dem Handy verschmolz entstand wiederum die App.

Programm = Applikation = App – so einfach ist das. Nun gibt es Millionen von Apps für immer mehr Dinge, einige sind kostenlos erhältlich gegen Nutzung der Anwenderdaten, andere muss man kaufen.

Der Algorithmus

Jürgen A. Lamers hat einmal geschrieben: „Die Zutaten sind die Eingabe (Input) des Prozesses, der Kuchen ist die Ausgabe (Output) und das Rezept der Algorithmus.“

Auf informatikjahr.de finden wir den Satz: „Algorithmen sind clevere Verfahren, Probleme verschiedenster Art effizient lösen.“

Wenn es ein Wort geben würde, das die aktuelle Situation in unserer Zeit bezogen auf unser Thema zusammenfasst, dann ist dies in meinen Augen der Algorithmus.

Denn die Algorithmen sind das Herz jeder modernen Technik und sie regeln letztlich alles in diesem Bereich.

Sie sind die Grundlage für jede App und sie sind auch die Grundlage für die neue Technik des Fotografierens.

Sie können uns das Leben leichter machen. Diesen Fall erleben wir gerade. Das Fotografieren und das Erstellen von Fotos kommt in eine neue Dimension. Die nächsten Jahre werden dabei ebenso umwälzend sein wie die Erfindung des Buchdrucks es war.

Und wir sind mittendrin in dieser Zeit. Wir sind Zeitgenossen und leben und erleben diesen Teil der neuen Technik.

Der Kampf der Sensoren

Was haben wir nicht alles für Sensoren in der letzten Zeit kennengelernt. BSI und EXR sollten schon die Technik revolutionieren. Und dieses Jahr sind schon sehr viele neue Kameras herausgekommen oder angekündigt worden, die das Fotografieren mit noch besseren Fotos ermöglichen sollen.

Besser ist nicht immer mehr. Und mehr ist oft weniger. Und manchmal ist mehr anders.

Die meisten Menschen haben heute neben einem Portemonaie = Geldbeutel und einem Schlüssel ein Handy dabei. Das Portemonaie, neudeutsch Portmonee, soll ja abgeschafft werden, weil mit dem Handy bezahlt werden soll. Mit solchen Ansätzen wird der Kampf um das Handy einer der Schlüsselkämpfe des 21. Jhrdts. werden.

Früher war der Kampf um das Wohnzimmer der Schlüsselkampf. Welcher Fernseher, in welcher Größe und mit welchen Programmen war die Frage? So ähnlich wird es jetzt wohl beim Kampf um das Handy werden.

Und wenn das Handy der Ort zum Bezahlen, zum Fotografieren und zum Kommunizieren wird, dann ist klar, was geschieht. Es ist der Kampf um die Schlüssel zur Zukunft. Denn es ist der Ort, an dem das Geld verdient werden kann. Noch mehr, noch individueller und noch längerfristiger.

(Obwohl dies ein Artikel zum Thema Fotografie ist, will ich doch darauf hinweisen, dass der Kampf um das Handy mehr ist. Es ist ein Kampf um Kontrolle und Macht, politisch, sozial und ökonomisch.  Aber dies hier nur am Rande.)

Die Blog-Fotografie

Wenn ich mir einige neuere Blogs anschaue, dann fällt mir auf, daß immer mehr fotografiert wird. Und zwar mit dem Handy. Und diese Fotos werden per Instagram oder anderer Software als Photo-Sharing/Foto-Verteilung täglich eingestellt.

Also, ich weiß nicht. Warum sollte man so viel Zeit dafür aufwenden, sich durch hunderte dieser banalen Fotos zu wühlen? Abgesehen davon scheinen nicht wenige davon die Rechte Dritter zu verletzen.

Wer da viel Streetfotografie per Handy macht, der sollte vielleicht mal ein Buch zum Thema Fotografie und Recht lesen.

So werden auch noch andere als nur visuelle und mediale Kompetenzen für den Umgang mit digitaler Fotografie erforderlich werden.

Und hier zeigt sich auch mal wieder, daß der Schutz der Persönlichkeit immer wieder neu erfunden werden muß. Nur weil man technisch so vieles kann bedeutet dies nicht, dass man deshalb damit auch alles machen darf. Die Zukunft der Privatsphäre liegt gerade darin, dass man sie im digitalen Zeitalter neu schafft und nicht abschafft. Zu den Menschenrechten gehört das Recht auf  Privatsphäre auch ausserhalb der eigenen Wohnung. Und draussen ist übrigens auch nicht gleich Öffentlichkeit.

Bis zum Tod

Ich schreibe dies bewusst, weil es mittlerweile immer mehr Trauer-Webseiten gibt, bei denen man eigene Fotogalerien einstellen kann zu Traueranzeigen. Und ich erlebe auf Beerdigungen zunehmend das ungefragte Fotografieren.

Ich finde dies unverschämt und verletzend, weil ich das Recht zum Trauern und zum Abschiednehmen allein und nicht fotografiert wahrnehmen will.

Aber auch hier kann es sein, daß solche Angebote auf Webseiten erst das Verhalten schaffen, was man vorher nicht gemacht hat.

Und deshalb sind klare Schutzbestimmungen wichtig.

Es fehlt eine App

Mir fehlt eine App, die Zuschauer-App. Ich finde, wer heute als Zuschauer gezwungen werden soll, sich durch hunderte von banalen Fotos zu wühlen, die auch noch fast täglich massiv erneuert werden per Handy, der sollte für das Anschauen der Fotos bezahlt werden.

Pro Foto einen halben Cent oder so.

Denn wer sich nicht mal die Mühe macht,  für seine Besucher eine Vorauswahl zu bieten und sie quasi zwingt, sich erst durch diesen ganzen digitalen Wust zu wühlen, der sollte auch dafür bezahlen.

Wäre das was?

Das Fotografieren

Es wird wohl noch eine Weile so bleiben, daß man einfach zur Kamera greifen kann, um damit durch die Städte, Strassen und Länder zu streifen und die Natur zu beobachten.

Damit ist die Kamera auch eine Chance, den Weg zurück in die echte Welt und die nicht-digitale Wirklichkeit der Menschen, Tiere und Gesellschaften zu finden und sich an der einfachen Wahrheit zu erfreuen.

„Wer fotografiert hat mehr vom Leben“ – wobei immer mehr digitale Fotos nicht immer mehr Leben sind.

In diesem Sinne

Text 1.1

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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