Wertloser Moment oder verpasste Gelegenheit?

Collage - Foto: Michael Mahlke

Heute im Gottesdienst. Eine Taufe steht an. Viele haben Kompaktkameras dabei, einige DSLRs. Alle blitzen wie verrückt als die Kinder mit den Eltern in der ersten Reihe sitzen.

Der Gottesdienst beginnt. Nun soll die Taufe durchgeführt werden und die Eltern, die anderen Kinder und alle anderen werden zum Taufbecken gebeten und die Taufe beginnt.

Keiner fotografiert, keiner nimmt das Ereignis auf, keiner hält den schönen Moment fest: wie die Eltern strahlen, das Kind freundlich lächelt, das Glück dieser Situation. Weder mit Blitz noch ohne Blitz. Dann ist es vorbei.

Zeitqualität

Jeder Moment hat seine eigene Zeitqualität. Manche Momente sieht man Jahre später ganz anders oder hat sie ganz anders in Erinnerung. Aber was sind solche Momente wert?

Wie das Beispiel zeigt, zunächst einmal fotografisch nichts.

Ich persönlich glaube, dass irgendwann alle sich freuen würden, wenn ein Foto auftauchen würde, bei dem sie so beisammen sind. Denn es ruft einen Moment der Freude mit all seinen Facetten und Erinnerungen wach.

Aber dieses Foto wurde nie gemacht, denn man kann nicht einfach in einer Kirche fremde Menschen und Familien fotografieren und man kann dies alles schon gar nicht erklären.

Hier gibt es eben viele Grenzen, juristische, soziale und persönliche.

Aber man kann es auch anders sehen und sagen, es ist eine verpasste Gelegenheit. Denn irgendwann stellt man sein Leben in ein Verhältnis zur Zeit und den sozialen Beziehungen, in denen man ist oder war und dann wären solche Fotos genau die Schlüssel für Erinnerungen, Diskussionen und Dokumentationen.

So ist dies ein Artikel zu einem verpassten Foto und zu einem Ereignis mit symbolischen Übergang, das nie wiederkommt und nicht nachgeholt werden kann.

Und es bewahrheitet sich der Spruch, wer fotografiert hat mehr vom Leben – und wenn es auch erst später ist.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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