Immer mehr
Wie geht man damit um, dass es immer mehr Medien an immer mehr Stellen unseres Lebens gibt und diese Medien immer mehr unserer Lebensbereiche durchdringen und (mit?)bestimmen?
Zwischen Zahl und Total
Einen interessanten Ansatz bietet die Ausstellung „24 Dokumente von heute“ im Fotomuseum Winterthur.
Dort heisst es: „Mit den 24 ausgewählten, exemplarischen «Dokumenten» dieser Ausstellung wird ein komplexes Netz aus losen und festeren Bezügen geknüpft, das den Status des dokumentarischen Bilds im Hier und Jetzt einfängt. Das dabei vorgeführte Hin- und Herspringen zwischen Themen und medialen Formen, zwischen offiziellen Pressebildern (Wladimir Putin beim Angeln) und anthropologischen Untersuchungen des Familienbildes (die Vox Populi-Arbeit von Fiona Tan) entspricht in etwa unsere heutigen Seherfahrung zwischen High und Low, zwischen Unmittelbarkeit und Tiefgang. Das Erobern fremder Orte oder die stille Annäherung an ein persönliches Thema sind andere Pole der Ausstellung.“
Um durch die Unübersichtlichkeit zu kommen wird quantitativ vorgegangen, indem eine Zahl, die 24, als Ordnungsprinzip gilt.
Sie ist quasi die einzige Verbindung. Das ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert, weil es zeigt, wie Zahlen unser Leben bestimmen können. Aber dies ist nur ein Aspekt.
Ganz anders ist es in der Ausstellung „Fotografie Total. Werke aus der Sammlung des MMK“.
Dort heisst es: „Über sieben Monate hinweg zeigt das Museum in wechselnden Werk- und Raumfolgen neue thematische Zusammenstellungen seiner fotografischen Werke mit einem Schwerpunkt auf den bedeutenden konzeptuellen Arbeiten. Zu sehen sind dabei Fotografien von Lothar Baumgarten, Anna und Bernhard Blume und Bernd und Hilla Becher. Ebenso im Fokus stehen Videoinstallationen von Aernout Mik, Mario Pfeifer und Bill Viola sowie die Reportage-Fotografie aus den Sammlungsbeständen des MMK. Hier sind besonders die Werke von Paul Almasy, Anja Niedringhaus und Barbara Klemm hervorzuheben, wobei das MMK von letzterer allein 250 Werke in den vergangenen Jahren erworben hat.“
Das Wort „Total“ bezieht sich dabei laut Webseite auf die ca. 2600 Fotos, die das Museum bisher gekauft hat und von denen abwechselnd nun einige ausgestellt werden. Das Ordnungsprinzip ist hier also die mengenmäßige Einschränkung des bisher Gekauften – also ebenfalls wieder eine quantitative Größe.
Quantität als Qualitätskriterien?
Nun sind quantitative Merkmale keine qualitativen Merkmale und nicht unbedingt „Qualitätsmerkmale“. Man könnte heute
- die Aufmerksamkeit vorher benannter Medien,
- das Vorkommen in Suchmaschinen,
- die Anzahl der Ausstellungen etc.
messen und als Kriterien nehmen.
Was würde dies bedeuten?
Es würde bedeuten, dass vielfach die quantitativen Kriterien entscheidend sind für die Aussage, es handele sich um Qualität.
Denn der Qualitätsbegriff ist in diesem Fall nicht mehr abhängig von handwerklichen Kriterien sondern von medialen Kriterien wie Aufmerksamkeit, Präsenz und Öffentlichkeit.
Es gibt natürlich tausende von Fotoausstellungen pro Jahr. Dabei sind die im Internet nicht mitgezählt. Aber manchmal kann man mit einem Korn die Welt erklären. Daher sind für mich die Ausstellungen, die ich hier genannt habe, ein Merkmal für den Wandel der Orientierung von Museen im Umgang mit den Veränderungen der digitalen Welt.
Und so filtert sich heraus, was wichtig wird und es muß gefragt werden, ob das Wichtige sinnvoll ist. Damit wären wir wieder bei der Qualität – einem unendlichen Thema…
Ich möchte an dieser Stelle noch einen Gedanken in die Diskussion einbringen.
Das digitale Meer (Mehr?)
„Visuelle Kultur bzw. Visual Culture Studies fragen danach, wie die Bilder entstehen, wer sie an welche Orte bringt, was sie bewirken und wohin die Bilder uns leiten. Man schreibt nicht mehr über Fotografien sondern über ihre intermedialen Vernetzungen, über Blickpraktiken, über User-Repräsentationen und Technologien des Selbst mittels Fotografien.“
Dieser Gedanke von Susanne Regener zeigt die Schnittstelle der Veränderungen. Hat dies Auswirkungen auf die traditionelle Art der Fotoausstellung? Ich denke ja und die beiden Beispiele zeigen die überlegte Reaktion von Museumsgestaltern auf die Veränderungen.
Der Stellenwert einzelner Fotos als Ikonen ist in einem Meer von digitalen Fotos zeitlich maximal minimiert. Der Bestandswert geht gegen Null und der Gebrauchswert wird im Rahmen eines ununterbrochenen Medienflusses auf die themenorientierte Leitplankenfunktion des „Scanning“ funktionell reduziert.
So wie man sich dem Anblick des Meeres hingibt, wird man sich zukünftig dem Meer der digitalen Fotos hingeben und festgehaltene Momente als Teil des Wahrnehmungsstromes (Scanning) sehen, in dem ein Foto schon einen Moment später vom nächsten Foto abgelöst wird.
Es sind die kräuselnden Wellen des Meeres, die den Ikonen der Fotografie im digitalen Meer entsprechen und denen wir ein längeres Scannen, ein längeres Verweilen als einziges Merkmal der Abgrenzung zubilligen, bevor es wieder abgelöst wird durch neue Momente.
Und so wird die Sehnsucht nach dem Tropfen die Sehnsucht nach dem einen Foto wiederspiegeln, welches ebensogut wie ein ganzer Fotostrom sein kann. Und dies wird die Stelle sein, an der neue Chancen entstehen, irgendwie und irgendwann – vielleicht.
Der Hype garantiert Geld
Bis dahin ist es ein guter Trost, dass der Hype in der Kunst immer wieder dazu führen wird, als soziale Gebrauchsweise viel Geld in von einschlägigen Kreisen definierten „Kunstwerken“ als Fotokunst anzulegen, so dass Fotos vielleicht ihren Wert verlieren aber einen hohen Preis erzielen und dadurch wieder „wertvoll“ werden, preislich geprochen.
Bis dahin tschüss!