Hipstamatic – die App für Fotojournalisten?!

Foto: Michael Mahlke

Ein Wandel hat sich vollzogen. Es gibt keine Diskussionen mehr darüber. Es ist geschehen. Das fotografische Bild der Welt hat sich geändert. Es wird bei neuen Reportagen und Berichten zunehmend von Smartphones mit Fotosoftware geprägt.

ZEIT-Reporter nutzen Smartphones schon länger als tägliches Betriebsmittel.

Doch damit hat sich nicht nur die Technik verändert sondern auch das Bild als solches. Fone und Filter sind die Grundlage für die neue Fotografie der fotojournalistischen Arbeit. Es ist eine wesentliche Erweiterung der bisherigen Fotografie.

Und welche Fotosoftware benutzen Fotojournalisten?

Offenkundig vielfach an erster Stelle Hipstamatic und an zweiter Stelle Instagram.

So wird aus einer Strasse ein fotografisches Kunstprodukt – Foto: Michael Mahlke

 

Seit Damon Winter eine Reportage mit der Hipstamatic-Software auf dem Iphone über den Krieg in Afghanistan gemacht hat und er damit Preise gewann sind die Würfel gefallen.

Mehr braucht man nicht mehr, wenn man aus Kriegsgebieten berichtet und Preise gewinnen will.

Und damit kommt man auch auf die Titelseite der New York Times.

Aber auch dabei sollte man nicht stehenbleiben.

Denn es ist eine neue Art der Fotografie, die Licht und Schatten hat.

In meinen Augen sind es immer eingefärbte Bilder mit einem sehr beschränkten Blickwinkel.

Und die Einfärbung entspricht nicht dem Vorhandenen sondern dem Auszudrückenden.

Aber was dominiert dabei?

Der Inhalt des Bildes oder die Farbenspiele der vorhandenen Filtermöglichkeiten?

Und deshalb ist das Neue in diesem Fall nicht der Feind des Guten sondern zum Teil nicht ausreichend, um die bisherige klassische Fotoreportage abzulösen.

Man kann so berichten.

Aber es ist oft interessanter, detailreiche, große und scharfe Fotos zu sehen, die viel mehr zeigen und die nicht so strukturiert sind.

Es ist eine eher expressionistische Art der Berichterstattung, die damit eingeläutet wurde.

Sie kommt sicherlich den standardisiert-technischen Individualismusbedürfnissen entgegen.

Und sie kann ebenso informationsreich sein wie andere Reportagen.

Aber sie ist anders.

So bleibt auch die Dokumentarfotografie nicht bei den alten Fotografien stehen sondern muss sich um die neue Art der Fotos kümmern, wenn diese als Grundlage für dokumentarische Fotografie dienen.

Das verändert und erweitert den Horizont.

Und ändern oder ausklammern kann man es nicht, wenn man die Wirklichkeit als Grundlage für die Berichterstattung nehmen will.

So geht es immer weiter und die Entscheidung zwischen entweder/oder wurde abgelöst vom sowohl/als auch mit einer neuen Fragestellung.

Diese lautet: welche Art der fotografischen Berichterstattung ist angemessen – dem Thema, dem Publikum, dem Budget?

Und darüber werden wir dann noch Jahrzehnte schreiben und diskutieren können…

Die Fotografin Evi Lemberger publiziert zum Beispiel auf zeit.de Reportagen, die nur aus Hipstamatic-Fotos bestehen. Offenkundig reicht dies den Redaktionen aus.

Andere Kritikpunkte sind wohl eher doppelzüngig und überholt.

David Campbell hat zurecht darauf hingewiesen, dass mit Polaroid-Fotos ebenfalls ununterbrochen jahrzehntelang gearbeitet wurde.

Und wenn die Fotos einen nostalgischen oder prosaischen Ausdruck haben, dann ist es eben so.

Da Wirklichkeit im Kopf entsteht (siehe Paul Watzlawick und seine Frage „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“) ist dies nun ein digital neuer Zugang zu älteren Betrachtungsweisen.

Wer die Chancen sieht, der sieht, dass sich die fotografischen Möglichkeiten nun erweitert haben.

Und selbst für die Strassenfotografie/streetphotography gibt es neue Chancen, wenn man folgenden Satz liest: „We’re beginning to see how the smart-phone as photographic instrument is allowing photographers to be even more spontaneous and invisible than the Leica did for news photographers in the mid 1920′s.“

Auf Deutsch steht dort sinngemäß, dass das Smartphone ein neues fotografisches Instrument ist, welches den Fotografen heute erlaubt, spontaner und unsichtbarer zu sein so wie es Leica in den 1920er Jahren für Fotografen war.

Diese Argumentationen zeigen verschiedenes.

Wir sehen, dass Bewertungen zeitabhängig sind, wir sehen, dass jede Zeit neue zivilisatorische Errungenschaften hat und wir sehen, dass wir uns kulturell trotzdem nicht weiterentwickelt haben.

Denn die Fotos, mit denen man Preise gewinnen konnte, handeln von Kriegen und nicht von Friedensfesten und der Abschaffung des Hungers und dem besseren Umgang der Kulturen.

So haben die Menschen zwar ihre Probleme nicht gelöst, können sie jetzt aber auf technisch andere Art festhalten und miteinander teilen.

Das nennt man dann wohl Fortschritt.

In diesem Sinne!

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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