Was ist ein schlechtes Foto heute?

Wir schreiben das Jahr 2013. Es gibt weder Leitmedien noch Leitzinsen, über die es sich zu sprechen lohnt. Die Welt ist voll mit Fotografien und es werden immer mehr. Da stelle ich mir die Frage, was ein schlechtes Foto ist. Weil es immer schlecht ist über die Fotos von anderen zu sprechen, will ich über ein Foto von mir reden.

Sie sehen hier ein Foto, für das ich nur negative Kritik erhalten habe.

Brandenburger Tor
Foto: Michael Mahlke

Es war ein Moment am Brandenburger Tor. Das Wahrzeichen ist ja heute umrahmt von feinen Hotels und als Startpunkt für die größte Partymeile Deutschlands ausgelegt. Am Abend vorher war dort eine Sandparty und zwei junge englischsprachige Damen kamen nun dort an und machten beim Sightseeing dort einen Stop. Mit Sommergefühl und Badeschlappen wurde der Moment am Brandenburger Tor mit der Kamera eingefangen.

Das Foto ist ungeschminkt. Das Foto zeigt, wie Berlin aus Touristensicht gesehen wird: als Ort für Badeschlappen und Party mit ein paar kulturellen Highlights. So wie in Paris der Eiffelturm muß es in Berlin das Brandenburger Tor sein.

Allerdings „beisst“ mich das Foto fotografisch nicht. Daher ist es kein Highlight.

Nun habe ich dieses Foto mehrfach bei Artikeln oder anderen Anlässen eingebracht. Es wurde jedesmal besonders kritisiert.

Wie man so fotografieren könnte – überhaupt das Motiv in dieser Form! Gestern fiel es mir wieder in die Finger und da dachte ich, blicke noch einmal drauf.

Und was geschieht? Ich kann die Kritik immer noch nicht nachvollziehen. Es stimmt, es ist ein ungeschminktes Foto. Es zeigt einen Moment im Leben von Touristen am Brandenburger Tor und es zeigt Menschen so wie sie sind.

Aber diese Kritik?

Daher will ich einige Gedanken formulieren, um dies richtig einzuordnen.

Es baut keine Spannung auf aber es erzählt eine Geschichte auf einen Blick. Es ist übrigens auch ein Foto, das eine trotz aller Menschen entspannte Atmosphäre wiederspiegelt.

In der Kategorie touristische Highlights für einen Werbekatalog wäre es wahrscheinlich falsch aufgehoben, weil es eben die Dinge so zeigt wie sie sind und nicht wie sie geschminkt und gestellt aussehen sollen.

Für mich wäre das Foto inhaltlich fotografisch schlecht,

  • wenn es keine Geschichte erzählen würde,
  • wenn die Bildelemente falsch angeordnet wären und
  • wenn die Situation falsch wiedergegeben würde

Technisch schlecht wäre das Foto,

  • wenn es rote Augen geben würde,
  • wenn die Köpfe abgeschnitten wären,
  • wenn der Horizont schief wäre,
  • wenn der Ausschnitt völlig perspektivenlos gewählt wäre
  • etc.

Das ist aber alles nicht der Fall. Somit sind die klassischen fotografischen Basics aus meiner Sicht erfüllt.

Ich finde das Foto nicht so gut, weil es

  • zu statisch ist und keinen Moment in seiner Fülle zeigt, es ist irgendwie langweilig
  • die Gesichter der Menschen im Hintergrund links erkennbar wären, wenn das Foto größer wäre
  • der Schwerpunkt in der Mitte liegt und man den Blick quasi dort fixiert
  • die Menschenmenge nicht so getroffen ist wie es interessant wäre

Das sind aber völlig andere Argumente als die, die ich bisher gehört habe.

Es kommt daher im Sinne von Diogenes darauf an, im Vergleich wozu ich dieses Foto sehe und wozu ich es benutzen will. Der Zweck entscheidet in diesem Fall.

Ich hoffe, damit ein Gefühl dafür zu vermitteln, was „gut“ und „schlecht“ sein kann und welche Art von sachlicher Diskussion helfen kann, ein gutes und ein schlechtes Foto zu unterscheiden im Sinne von gut für… und schlecht für…

Nachtrag zwei Monate später am 20.03.2013:

Heute kommen zwei Meldungen zu diesem Thema.

Die DGPH macht ein Symposium zum Thema „Was ist ein gutes Foto?“ und in der Zeit soll im Mai ein Heft erscheinen mit dem Thema „Was ist ein gutes Foto?“ – so befruchtet sich das Internet gegenseitig …

Und nach dem Symposium der DGPH im Juni steht fest, es kommt darauf an.

Na dann!

Text 1.2

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

2 thoughts on “Was ist ein schlechtes Foto heute?

  1. Ein schlechtes Foto ist eins, bei dem die Absicht des Fotografen in vielen Sätzen erklärt werden muss. Stell dir die Frage: Was ist deine Nachricht?
    Eine andere Perspektive, die das ungewöhnliche (Sand) in den Mittelpunkt stellt, hätte es vielleicht auf dem Punkt gebracht. Sand – Badeschlappen – Brandenburger Tor. Das am Brandenburger Tor Touristen sind, ist nicht ungewöhnlich, ist keine Nachricht.

    1. Ich denke auch, dass ein Foto von unten durch die Beine und die Badeschlappen auf das Brandenburger Tor sicherlich eine viel ungewöhnlichere Perspektive mit dem Urlaubsfeeling ergeben hätte. Es wäre aber eine andere Aussage geworden, wahrscheinlich aber eine fotografisch interessantere. Das Foto ist kein Reisser, aber wichtig war mir, einmal rauszuarbeiten, warum dies so ist, an welchen Punkten die Kritik ansetzen kann und an welchen Punkten nicht.

      Aber ich finde die von dir hier aufgeschriebenen Gedanken-Botschaften gut. So entsteht nämlich sofort ein neues Foto im Kopf.

      Und es ergibt sich nun die Chance, in Berlin dies alles umzusetzen – im Sommer mit Sand und Badeschlappen.

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