1966 und 1999 wurden zwei Bücher über große Fotoausstellungen veröffentlicht. Die eine fand 1964 im Moma in New York statt, die andere 1999 im Museum Ludwig in Köln.
The Photographers Eye
The Photographers Eye wurde herausgegeben von John Szarkowski.
Er schreibt darin, dass gute Fotografen ihre Arbeitsweise lernen
- durch die Arbeit des Fotografierens und
- durch das Anschauen von Fotografien,
die andere gemacht haben.
So ist dieses Buch auch eine Sammlung von fotografischen Arbeitsweisen und zeigt, wie verschiedene Fotografinnen und Fotografen vorgegangen sind:
- welcher Ausschnitt wurde gewählt,
- welche Details,
- welche Themen,
- welche Perspektive
- und vieles mehr.
Augenblick und Endlichkeit
Das 1999 unter dem Thema Augenblick und Endlichkeit herausgebrachte Buch der Sammlung Gruber ist die Fortsetzung unter neuen Bedingungen.
Dort wird das von der Fotografie geprägte 20. Jhrdt. aus Sicht verschiedener Fotografen thematisch dargestellt.
Wo findet man schon auf jeweils einer Doppelseite hintereinander Porträtaufnahmen die
- Lewis Hine,
- August Sander,
- Irving Penn,
- Edward Steichen,
- Dr. Erich Salomon,
- Marc Garanger oder
- Ben Fernandez
gemacht haben?
Eben, die findet man nur in diesem Buch. Das kann man sich auch so nicht ergooglen, weil man gar nicht die Zusammenhänge sieht.
Erstklassige Dokumentation
Wenn man nun beide Bücher nacheinander und miteinander betrachtet, dann fallen mir verschiedene Dinge auf.
Beide zeigen mit einem Abstand von 33 Jahren, dass gute Fotografie, die dokumentiert, sehr unterschiedlich ist – aber auf den Fotos immer Aussagen zu finden sind und Geschichten erzählt werden.
Es sind damit automatisch auch festgehaltene Momente der jeweiligen Zeit.
Sie dokumentieren Alltag, Einstellungen, Haltungen und blinde gesellschaftliche Flecke, die Fotografen eingefangen haben, damit sie irgendwann gesehen werden.
Apps sind kein Ersatz
Bemerkenswerterweise punkten heute viele Apps für Smartphones mit seltsamen Argumenten. Sie werben mit Aussagen wie „Fotografieren sie so wie Robert Capa, Ansel Adams, Cartier-Bresson …“ und meinen damit besondere Belichtungstechniken, Kontrastverhalten oder Körnung = digitales Rauschen.
Das ist natürlich der absolute Unsinn. Als ob eine Technik einen Blick ersetzt, der Dinge um sich herum besonders erfaßt. Hier wird das Formale mit dem Inhaltlichen verwechselt.
Bücher spiegeln die Vergangenheit und zeigen die Zukunft
So sind die beiden Bücher nicht nur eine Quelle für die gesellschaftlich anerkannte Fotografie in der Vergangenheit.
Sie sind auch gleichzeitig der Blick in die fotografische Vergangenheit, der erforderlich ist, um zu sehen, dass man das Fotografieren nicht neu erfinden kann. Es geht immer um dieselben Fragen. Und mit Hilfe verschiedener Techniken kann man besondere Effekte für spezielle Aussagen erzeugen. Heute leichter als früher.
Aber das Ergebnis ist gleich.
Wer wissen will wohin er geht muß wissen, woher er kommt. Diese beiden Bücher ermöglichen genau das: die Bildung von fotografischem Geschichtsbewußtsein durch die kluge und geschickte Sammlung von Themen und Techniken, die immer aktuell sind.
Beide Bücher ermöglichen das, was Jochen Poetter in der Einleitung zu Augenblick und Endlichkeit geschrieben hat:
„Geschichte scheint sich in Zyklen und Variationen zu wiederholen, stets neue Akteure zwingen sich und ihre Mitmenschen, wenn auch unter wechselnden Bedingungen, zu vergleichbaren Erfahrungen und letztlich in die Konfrontation mit dem Aspekt der eigenen Endlichkeit.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.