Fotoreporter männlich und weiblich berichten zunehmend darüber, daß ihre Arbeit nur noch als Füllung zwischen Anzeigen erforderlich ist und echte Dokumentarfotografie, auch als Fotostrecke und Thema, so gut wie gar nicht mehr bezahlt publiziert wird.
Das hat zu der logischen Konsequenz geführt, doch zu gucken, womit man finanziell erfolgreicher sein kann. Da kommt man schnell auf die Fotokunst, was auch immer das sein mag, und schaut, was der Markt will.
The Afronauts – erfolgreiche Fotografie
The Afronauts von Cristina de Middel, das auch als Buch publiziert wurde, ist eines der bekanntesten Projekte im Mainstream der letzten Zeit.
„Warum muß Fotografie entweder dokumentarisch oder Kunst sein? „(im Original: „Why does photography have to be either documentary or an art piece? Why do we feel the need to classify?“) fragt sie und zeigt damit einen neuen Weg auf, um ein Thema zu dokumentieren und zugleich dem Markt verkaufsfähige Produkte anzubieten.
Cristina de Middel dokumentiert – aber nicht im Sinne der Abbildung der vorgefundenen Realität sondern im Sinne einer Aufbereitung durch Inszenierung eines Themas. Dabei spielen abgebildete Elemente der Wirklichkeit eine Rolle aber es sind keine 1:1 Ausschnitte sondern drehbuchorientierte Dokumentationen.
Das ist dann Fotokunst auf dokumentarischer Grundlage.
Ist dies dann auch eine neue Kategorie im Bereich der Dokumentarfotografie?
Neue Ausbildung – neue Inhalte
Ich warf einen Blick auf die aktuelle Ausbildung an der Hochschule Hannover, um diese Frage zu vertiefen.
Dort fand ich bestätigende Worte, weil Dokumentarfotografie heute so unterrichtet wird: „Der Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie sieht seinen Schwerpunkt in der »wirklichkeitsbezogenen Fotografie«. Darunter verstehen wir die journalistische und dokumentarische, fotografische Auseinandersetzung mit der Außenwelt, ausgehend von der situativen und örtlichen Realität. Dabei interessiert uns vor allem die persönliche Interpretation der Wirklichkeit. Dies verlangt immer auch die Entwicklung einer Haltung zum Objekt selbst und zum Medium Fotografie.“
Dieses Statement der Hochschule Hannover zeigt, daß es nicht mehr auf die Abbildung der Realität ankommt sondern Dokumentarfotografie als „wirklichkeitsbezogene Fotografie“ verstanden wird. Es sollte also ein Bezug zur Wirklichkeit auf den Fotos vorhanden sein?
Das kann ziemlich weit weg sein von der Realität. So blickte ich von der Ausbildung zu den medial am meisten beachteten Fotofestivals (Fotoausstellungen mit mehreren Teilnehmern) in diesem Jahr.
Fotoausstellungen und Fotofestivals als Träger des ZEITgeistes
Wenn man Veränderungen und Übergänge festhalten will, dann will ich drei Ereignisse aus diesem Jahr nennen, die mir symptomatisch erscheinen:
- In diesem Jahr gab es beim Fotofestival in Arles schon Kontroversen laut photonews, weil es für einige Teilnehmer nicht nachvollziehbar war, Fotos von W. Tillmans zu sehen, die nicht in die klassisch dokumentarisch-journalistische Tradition passen
- Beim Fotofestival in Mannheim-Ludwigshafen waren aktuelle Magnum-Fotos zu sehen, die z.T. in ihrer Banalität und fehlenden Geometrie so gar nicht der früheren Dokumentation verpflichtet waren und inszeniert wirken
- Beim Fotodoks-Festival in München sind die „Dokumentaristen“ eingezogen, eben Interpretationen und Inszenierungen der Wirklichkeit
Welche Rolle dabei eines der deutschen Leitmedien, die ZEIT, spielt, die in Mannheim und München aktiv Preise verleiht, ist mir noch unklar. Aber es sind alles Symtome des aktuellen ZEITgeistes.
So hat sich gerade auch hier eine neue Sicht entwickelt.
Sie gipfelt in der alten Frage von Watzlawick, allerdings neu gestellt für die Dokumentarfotografie: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
In diesem Sinne