Armut im Blickfeld – Wege der Fotografie

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Armut wird unsichtbar

„Je näher Armut dem westlich-weiß dominierten Kulturkreis rückt, desto unsichtbarer wird sie.“

Diese Aussage aus einer Untersuchung (pdf) von Lena Mann und Jana Tosch zeigt einen blinden Fleck in der heutigen Fotografie.

Ihr Ergebnis ist sehr ernüchternd: „Strukturelle Ursachen von Armut werden kaum bildlich thematisiert. Armut wird dann präsent, wenn eine medientaugliche, soll heißen spektakuläre Krisensituation eintritt, die Armut verstärkt, verursacht oder durch sie bedingt ist. Armut ist trotz ihrer Realität diesbezüglich kein Thema für sich. In teuren Hochglanzmagazinen (z.B. GEO, Unicef) findet man ab und an Fotoreportagen über Armut in der so genannten ‚3. Welt’. Fachmagazine haben allerdings ihren Preis: Diese Reportagen erreichen im Vergleich zur Tagespresse nur ein sehr kleines Publikum. Armut wird in diesem Fall meist durch Ästhetisierung verklärt und exotisiert, was das Bild eines imaginär ‚Anderen’ produziert, um von eigenen Problematiken abzulenken. Das Thema Armut gehört zur Definition des ‚3. Welt’-Klischees (‚3. Welt’ = arm) und nicht zu derjenigen der Wohlstandsstaaten. Dieser Mangel wird hierzulande durch das Persönlichkeitsrecht untermauert: Veröffentlichungen von Nahaufnahmen sind in Deutschland und einigen anderen europäischen Staaten nur mit dem Einverständnis der fotografierten Personen (bei Kindern muss die Erlaubnis der Eltern eingeholt werden) möglich.“

Und so ist die Realität da verschleiert, wo sie gezeigt werden müßte.

Das neue Bild der Gesellschaft ist ohne Armut

Man kann es aber auch anders sehen. Es gibt ja die sog. visuelle Soziologie, die sich ein Bild von der Gesellschaft macht. Wenn die Armut nicht mehr sichtbar ist, dann ist dies auch ein Bild von einer Gesellschaft.

Rudolf Stumberger hat dies einmal sehr schön formuliert: „Die sozialdokumentarische Fotografie des 20. Jahrhunderts ist auch eine Dokumentation des sozialen Wandels wie auch des Wandels des Sozialen, an dem sie als Mittel in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in unterschiedlicher Intensität beteiligt ist. Sie steht für die visuelle Seite der Interpretation von Gesellschaft, die selbst diese Gesellschaft durch ihre Wirkkraft mit hervorbringt. Die sozialdokumentarische Fotografie ist so nicht nur ein fotografisches Genre, sondern soziale und politische Praxis.“

Das finden Sie komplett hier (pdf).

Wer will soziale Verhältnisse der Armen sehen?

Aber es geht noch weiter. Roland Günter hat in seinem Buch Fotografie als Waffe die drei entscheidenden Fragen gestellt, die für politische Fotografie weiterführend sind:

  • Wer hat Interesse an einer Darstellung der sozialen Verhältnisse?
  • Wer hat Interesse, Partei zu nehmen zugunsten der “Schwächeren”?
  • Wer finanziert diese Art von Fotografie?

Das sind die Leitfragen (man könnte auch von Leidfragen sprechen) für politische Fotografie.

Und das Thema Armut hat sehr viel damit zu tun. Eigentlich muß man nur die Fragen anwenden auf das Thema Armut und dann wird einiges klar.

Fotojournalistisch

Das Fotografieren dieses Themas wird kaum bezahlt, man setzt sich dem Vorwurf aus, am Leid anderer Geld verdienen zu wollen und man hat nur Ärger. Wenn man es dann selbstlos macht (wovon lebt man denn selbst?), dann ist es letztlich zwar massenmedial ehrenwert und „berührend“ aber es folgen keine gesellschaftlichen Debatten. Zudem ist dies alles sehr unwirklich. Wenn nur die Reichen die Armen fotografieren dürfen, weil sie kein Geld verlangen, dann passt nichts mehr.

Gesellschaftlich

Wenn die Armen kein fotografisches Thema mehr sind, dann gibt es auch keine „arme“ Öffentlichkeit mehr. Dann verschwinden die Bilder für eine Debatte aus dem öffentlichen Raum und dem öffentlichen Bewußtsein. Symbolisch könnte das Fehlen dieser Fotos auch als Visualisierung der Entsolidarisierung interpretiert werden. Was nicht gezeigt wird will man nicht sehen. So ist dies vielleicht einer der letzten Artikel in den nächsten Jahren, der dies alles anspricht und aufschreibt – wer weiß!

Methodisch und technisch

Wie kann man Armut fotografieren?

Folgendes habe ich im Netz dazu gefunden:

Es gibt sicherlich noch mehr Möglichkeiten. Wenn ich über deutsche Grenzen blicke und an Stephan Vanfleteren denke, der Armut in Belgien viele Jahre so großartig wie Salgado aufgenommen hat, dann ist mehr möglich.

Aber das ist ein anderes Thema.

Noch mehr Infos zu diesem Thema gibt es hier.

Text 1.1

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/