Arbeiterfotografie gestern und heute

„Aufrichtig zu sein kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht.“

Johann Wolfgang von Goethe

Arbeiter und Arbeitnehmer

Heute ist das Wort Arbeiter faktisch in der öffentlichen Debatte verschwunden.

Wir sprechen von Arbeitnehmern.

Wo ist da der Unterschied?

Arbeitnehmer ist jeder, der gegen Geld arbeitet.

Gibt es noch eine darüber hinausgehende gemeinsame Identität?

Und Arbeiter?

Arbeiter hatten ein „Wir“.

Sie hatten die gleichen Arbeits- und Lebensbedingungen und die gleichen Erlebnisse und fühlten sich als Teil einer Klasse.

Diese Klasse hatte ein Ziel.

Besser zu leben, weniger zu arbeiten und mehr mitzubestimmen in Staat und Gesellschaft.

Das kann man alles auch komplizierter ausdrücken.

Da es ziemlich viele Theoretiker und Schriften über die Arbeiterklasse gibt, sieht das auch fast jeder anders.

Ich habe dies alles aus meiner Sicht mal so zusammengefaßt.

 

Arbeiterfotografie

Denn mir geht es hier um die Arbeiterfotografie.

Die Anfänge der Arbeiterfotografie in Deutschland sind in der Weimarer Republik. Ob es sie heute noch gibt, darüber streiten sich die Geister.

 

Der rote Faden

Der rote Faden der Arbeiterfotografie ist das Dokumentieren von Situationen und Zuständen des eigenen Lebensumfeldes, über die die anderen Medien meistens gar nicht berichten. Es ist oft politisch engagierte Fotografie und die ist es bis heute.

Aber Arbeiterfotografie ist eben nicht nur politische Fotografie.

Wer eine Kamera hat, der fotografiert auch seine Familie und andere individuelle Situationen.

Die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie haben sich insofern nicht geändert, egal ob Kleinbildkamera oder Smartphone. Heute ist es nur billiger.

1978/79 erschien im Elefantenpress-Verlag ein Buch mit dem Titel „Arbeiterfotografie“.

fm014x
Arbeiterfotografie – Foto: Michael Mahlke

Ich habe selten einen so umfassenden Querschnitt und Längsschnitt in einem Buch gefunden. Richard Hiepe hat dort viel publiziert und das Thema sehr lebendig gemacht. Aber er war nicht allein. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis zeigt, wie lebendig dies alles 1979 war.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Wenn wir einige Blicke in das Buch werfen, dann finden wir dort Themen erörtert, die heute in den Medien kaum eine Rolle spielen. Vielleicht sind Fragen wie die nach der Parteilichkeit oder Wahrhaftigkeit der Fotografie aber auch nur etwas für Menschen mit politischem Bewußtsein, die eben engagiert sind. Aber darüber kann man diskutieren.

Arbeiterfotografie und Wahrhaftigkeit
Arbeiterfotografie und Wahrhaftigkeit

Das Buch von 1979 zeigt uns eine in der gesamten Bundesrepublik vorhandene Arbeiterfotografie-Landschaft.

Arbeiterfotografie und bürgerliche Fotografie
Arbeiterfotografie und bürgerliche Fotografie

Die DDR-Landschaft war separat.

 

Das Auge des Arbeiters

Die Ausstellung „Das Auge des Arbeiters“, die aktuell in Zwickau, Köln und Dresden zu sehen sein wird, zeigt die Zeit davor in der Weimarer Republik.

Dazu gibt es ein hervorragendes Buch, das Wolfgang Hesse herausgegeben hat.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Damals war noch mehr los. Damals war die beginnende Hochzeit von Presseerzeugnissen und das Fotografieren war auch Teil der gewerkschaftlichen Kulturarbeit und der politischen Propaganda.

Aber Arbeiter waren mehr als Propagandamaschinen und fotografierten oft mehr und anders als es offizielle Parteikader wollten. Denn Klassenbewußtsein darf man nicht mit Parteihörigkeit verwechseln. Das Eine ist ein bewußtes Erleben sozialer Wirklichkeit, das Andere ist ein soziales Machtmittel in Form einer Organisation. Zumindest teilweise.

 

Arbeiterfotografie heute

Und heute?

Heute ist der Einstieg und die umfassende Antwort auf dieses Thema überwiegend auf der Webseite www.arbeiterfotografie.de zu finden.

Es hat sich einiges geändert.

Überwiegend werden politische Demonstrationen in Form von Fotogalerien dargestellt.

Aber einiges ist auch geblieben.

Das ist das engagierte Fotografieren und das Berichten über Aktionen, Demonstrationen und Zustände, die in anderen Medien oft überhaupt nicht vorkommen.

Und man muß die Seite loben, weil sie ein unglaublich gutes öffentlich zugängliches digitales Archiv für politische Fotografie ist.

In der Berührung mit der Gegenwart hat sich dort allerdings einiges geändert, wie man diesem offenen Brief entnehmen kann. Bemerkenswerterweise wird hier die Frage gestellt nach der Parteilichkeit und der Wahrhaftigkeit …

So liefern zwei Bücher und eine Webseite eine wirklich umfassende Darstellung der Arbeiterfotografie in Deutschland und darüber hinaus.

 

Arbeiterfotografie zwischen 2000 und 2010

Ich möchte nun noch meine Fotoausstellung 15 Blicke auf das Arbeitsleben empfehlen, weil diese Ausstellung den Wandel bei den Arbeitsverhältnissen nach der Grenzöffnung 1989 am Beispiel des Bergischen Landes darstellt.

Es ist eine westdeutsche Sichtweise, die zeigt, wie die Grenzöffnung und die Globalisierung die soziale Sicherheit in Westdeutschland zerstören, weil die Politik nur Gesetze für die Unternehmen gemacht hat auf Kosten der Arbeitnehmer.

Während es großzügige Vorruhestandregelungen ab Mitte 50 für alle und lange Zeiten mit Arbeitslosengeld gab und hervorragende Rentenregelungen wurden die jüngeren Arbeitnehmer ab ca. dem Jahr 2000 zu rechtelosen Werkzeugen gemacht. Für Unternehmen gab es Fördergelder, wenn Unternehmen aus Westdeutschland nach Ostdeutschland verlagert wurden oder sogar nach Polen etc.

Besonders unrühmlich war die hier gezeigte Ära, weil die Regierung Schröder alles an Asozialität in Gesetze packte (Hartz 4 und Rente mit 67), was sich fiese Gehirne ausdenken konnten, die unter Wählertäuschung gewählt worden waren, um als Sozialdemokraten und Grüne etwas für die Menschen und die Umwelt zu tun und nichts anderes taten als die schlimmsten neoliberalen Asozialen.

Es ist sozialdokumentarische Fotografie (keine sozialdemokratische!) und – wie ich mittlerweile festgestellt habe – auch Arbeiterfotografie.

 

Open End

Jeder, der dies liest, kann sich nun weitere Fragen stellen.

Mir fiel dazu folgendes ein:

  • Ist Arbeiterfotografie Gegenöffentlichkeit?
  • Gibt es heute eine Arbeitnehmerfotografie?
  • Gibt es heute noch woanders engagierte Fotografie in Deutschland mit politischem Anspruch?
  • Hat solche Fotografie noch eine Relevanz?
  • Fotografieren heute Arbeitnehmer noch als Arbeitnehmer oder eher als Mitglieder von Hobby-Gruppen und social medial groups?

So bleibt der Blick in die Gegenwart irgendwo in der Weite der Landschaft ohne abschließend antworten zu können.

Wer in 30 Jahren noch lebt, kann dann zurückblicken und die Fortsetzung dieses Artikels schreiben.

Bis dann!

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/