Schönheit und Last von Peter Alexis Albrecht (Hg.)

bildnissealter

„Bildnisse vom Alter“ lautet die ergänzende Unterschrift des Titels. Und damit nähern wir uns einem sehr interessanten Buch.

Drei Fotografinnen – Ilona Ripke, Karin Wieckhorst und Irene Zandel – haben für die Cajewitz-Stiftung in deren Seniorenhäusern fotografiert.

Wie kann man im Alter mit Würde leben?

Kann dies selbstbestimmt und durchorganisiert funktionieren?

Die Cajewitz-Stiftung will zeigen, daß dies geht und zwar für alle.

So kosten die Wohnungen dort zwischen 600 und 1200 Euro.

Allerdings machen die Fotos deutlich, daß es ohne Geld trotzdem nicht geht, da man ab einem bestimmten Alter „Wahlleistungen“ braucht, weil die Bewältigung mancher Aufgaben sonst zur Qual werden würde.

Das Buch ist schon deshalb sehr sympathisch, weil es mit Fotos Würde im Alter zeigen will.

Das gelingt und ist völlig entgegengesetzt zu dem, was uns die Politik über längeres Arbeiten medial vermitteln will.

Das zeigt uns jedes Foto in diesem Buch: Aktivität im Alter ja – fremdbestimmte Geldarbeit zum Überleben nein.

Bei den Fotos der „Hochbetagten“ sind allerdings nur Kopfarbeiter mit wahrscheinlich höherem Einkommen. Es wäre interessant zu erfahren, ob dies sich aus der Auswahl der Fotos so ergeben hat oder real auch so ist. Dann würde ich fragen, wer arm ist stirbt früher? Und könnte dann auch nicht mehr fotografiert werden!

Barrierefreies Wohnen ohne die Lebenswelt eines Altenheimes ist das Ziel der Stiftung.

Aber sie sagt auch, daß soziale Sicherheit im Alter dafür unerläßlich ist.

Insofern ist dieses Buch hochpolitisch und so gesehen sind auch die Fotos der drei Fotografinnen hochpolitisch.

Jede Fotografin nähert sich dem Thema anders, alle fotografieren hier ausschließlich monochrom.

Es sind Fotos, die Menschen zeigen. Zu den Fotos gibt es Aussagen der Fotografierten und Erläuterungen.

Man spürt die Aktivität im Alter.

Man sieht die Würde, die sich auf den Fotos zeigt durch die Art, wie die Menschen sich für die Fotos zeigen.

Früher hätte ich geschrieben von Dänemark und Schweden lernen, heißt siegen lernen.

Heute schreibe ich von solchen Projekten lernen heißt siegen lernen.

Ilona Ripke zeigt Menschen im Raum, in ihren Räumen und versucht „die Spiegelungen eines ganzen Lebens abzubilden.“

Karin Wieckhorst hat als Thema Kultur und Lebensweise. Wie leben Menschen mit ihrer Umwelt, wie ist die Dynamik des Zusammenlebens in den Häusern der Stiftung?

Irene Zandel erzählt Fotogeschichten, die Lebenslinien aufzeigen.

Texte treten überall erläuternd zur Seite und ermöglichen so Einordnungen, die sich durch die Fotos allein nicht erschließen.

Denn es gibt in dem Buch eine fotografisch unsichtbare Seite. Es ist der bisherige Lebensweg. Dieser zeigt sich auf den Fotos nicht durch Erinnerungsstücke sondern durch die Erzählungen dazu.

Die Texte sind auch durchaus kritisch. Die Kritik bezieht sich sowohl auf Erfahrungen wie auf die Bauweise mancher Wohnung, so daß die Würde durch das Buch gelebt wird und dadurch wiederum Glaubwürdigkeit vermittelt wird.

Interessanterweise sind alle Fotos monochrom. Kein Foto ist langweilig und die Individualität der Menschen wird so wirklich gut betont.

So ist das Buch ein gelebtes Beispiel dafür, wie stark monochrome Fotos im Zeitalter der Farbfotografie sein können. Sie sind manchmal die bessere Wahl.

Sie strahlen auch Ruhe aus und schaffen ein angenehmes visuelles „Klima“.

Es ist ein großartiges Buch mit guten Botschaften, das soziale Wirklichkeit in Deutschland zeigt und eine Antwort auf die Frage gibt, wie wir selbstbestimmt leben können, auch wenn wir keine Millionäre sind.

Dies führt automatisch zu der Frage, wieso die Politik dann genau das Gegenteil macht?

So ist dieses Buch ein politisches Fotobuch im besten Sinne, das uns visuell Wege zeigt wie wir heute schon ohne Angst im Alter mit Würde leben können.

Und nun?

Nun ist es an uns, politische Forderungen zu stellen, die dafür sorgen, daß jung und alt mit Perspektive leben können.

Das Buch ist im Nicolai-Verlag erschienen.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/