Die deutsche Nachkriegsfotografie von Jörn Glasenapp

glasenapp

„Für Claudia“ hat er das Buch geschrieben.

Da wird sich Claudia gefreut haben, denn das Buch ist sehr spannend, informativ und lehrreich geworden.

Es hat sogar für ein wissenschaftliches Werk einen gewissen Unterhaltungswert, weil sich Herr Glasenapp mit den sozialen Gebrauchsweisen und der Instrumentalisierung beschäftigt hat.

Am Anfang waren die Nazis, also die Deutschen, und ihre mordenden Horden.

Als sie besiegt waren und die Sieger die Konzentrationslager = Vernichtungslager sahen, holten diese sofort die Fotografen und die Filmer – und die Deutschen, damit sie nicht sagten konnten, sie hätten es nicht gewußt.

Ich bin auf das Buch gestoßen, weil ich manche Namen und Ereignisse nicht einordnen konnte.

  • Wer war Otto Steinert?
  • Was war die Weltausstellung der Photographie?
  • Was ist eigentlich Fotokunst und wie kam es dazu?

Jörn Glasenapp hat dies alles aufgeschrieben.

So spannend wie ein Krimi lesen sich viele Passagen, wenn man ein echtes Interesse für die Entwicklungen und Debatten zur Fotografie und den Massenmedien in Deutschland hat.

Wußten Sie, daß die deutsche Fotoindustrie schon kurz nach Kriegsende wieder an der Weltspitze stand?

Und dann die photokina!

Glasenapp schildert wie sie sich entwickelte und die alten Nazis der Welt im neuen Deutschland wieder Kameras und Objektive verkauften. Aber auch wie aus einer eher deutschen Veranstaltung nach und nach eine Weltmesse wurde.

Das Buch glänzt nicht nur durch den Text sondern auch durch die Anmerkungen, in denen wirklich was zu finden ist und viele Fotos.

Das Thema subjektive Fotografie von Otto Steinert zeigt wie Verdrängung zum Erfolg führte, der aber nur kurz währte und bis heute fraglich erscheint aus der Sache heraus. Im Gegensatz zu manch anderen akademischen Arbeiten schildert Glasenapp die Debatten und erläutert die unterschiedlichen Positionen.

Er hat auch eine eigene Meinung und das ist dann das Salz in der wissenschaftlichen Suppe.

Lecker!

Nach der Dokumentation der Konzentrationslager erfolgte in der BRD zunächst eine fotografische Realitätsflucht.

Die Weltausstellung der Photographie war dann wohl DIE Fotoausstellung der Nachkriegszeit, welche die Welt fotografisch zurückholte mit einem riesigen Erfolg.

Glasenapp zeigt dann an den Themen Mode, Mädchen und Museumsqualität die Realitätsflucht und Geschichtsverleugnung, die quasi bis heute z.T. anhält.

Gerade im Bereich der sogenannten Fotokunst ist bis heute die Wirkung zu finden, frei nach dem Motto, es gab die gute und unpolitische Fotografie schon vor der Nazizeit und wir brauchen daran nur anzuknüpfen.

Nun ist das Buch schon ein paar Jahre auf dem Markt.

Daher gibt es schon ausführliche Rezensionen, von denen die bei fotogeschichte.info ganz interessant erscheint.

Dort wird das Buch von Glasenapp als Beispiel für visual history genannt, eine veränderte Art der Geschichtsschreibung, die Bilder verstärkt mit einbezieht und die Grenzen der einzelnen Wissenschaften überschreitet.

Ein Buch auf dem „Wald- und Wiesenweg der Praktiker“.

Aber das Buch scheint vergessen, weil fast alle Artikel, die ich zu diesen Themen lese, nur noch auf kleingehacktes, googlehaftes Oberflächenwissen zurückgreifen, um Suchbegriffe zu kreieren.

Daher war es an der Zeit, dieses Buch noch mal herauszuheben.

Man muß es lesen, wenn man wirklich was über die Fotografie in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg  wissen will und verstehen will, warum die einen Fotos heute Fotokunst sind und sozial/politisch engagierte Fotografie heute oft nichts mehr wert ist.

Es lohnt sich außerordentlich!

 

Jörn Glasenapp
Die deutsche Nachkriegsfotografie
Eine Mentalitätsgeschichte in Bildern
1. Aufl. 2008, 413 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-7705-4617-6

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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