Wir sind noch in Platos Höhle: „Die Höhle versinnbildlicht die Welt, die sich den Sinnen darbietet, die normale Umgebung des Menschen, die man gewohnheitsmäßig mit der Gesamtheit des Existierenden gleichsetzt. Der Aufstieg ans Tageslicht entspricht dem Aufstieg der Seele von der Welt der vergänglichen Sinnesobjekte zur „geistigen Stätte“, der intelligiblen Welt, in der sich das nur geistig Erfassbare befindet.“
Davon war auch Susan Sontag fest überzeugt. Evidenz reicht nicht (Evidenz bezeichnet das dem Augenschein nach unbezweifelbar Erkennbare).
Ihr Essay „In Platos Höhle“ ist wirklich gut, weil sie auf wenigen Seiten zusammenfaßt, was heute in vielen Dissertationen dann en detail auseinanderklamüsert wird, um es dann bei ihr zusammengesetzt zu finden.
Früher wurden die Pyramiden gebaut, um die Sterblichkeit zu besiegen. Der Kampf gegen die conditio humana, das geboren werden um zu sterben, ist der rote Faden in der Geschichte der Menschheit. Gebäude, die ewig stehen sollen, andere ermorden, um ein Gefühl der eigenen aktuellen Unsterblichkeit zu erlangen und vieles mehr lesen wir in den Geschichtsbüchern und sehen es in der Welt um uns herum.
Heute ist es einfacher an dieses Gefühl zu kommen, weil es die Fotografie gibt, die uns dies ermöglicht. Wir schaffen die „Bilder-Welt, die sich anheischig macht, uns alle zu überdauern.“
Wir werden geboren um zu sterben und das Fotografieren gibt uns das Gefühl, dies mit jedem Klick zu besiegen. Wir sind sozusagen „stärker“ als der Moment.
„Fotografieren bedeutet Teilnehmen an der Sterblichkeit.“ Das Foto zeigt unseren „Sieg“.
Daher ist das Videofilmen für die Psyche auch kein Ersatz für ein Foto. Denn das Foto hält einen Moment fest und gibt uns das Gefühl Herrscher über die Zeit und den Wandel zu sein gerade weil es endet. Beim Video gibt es keinen Rahmen und kein Ende, das den Moment auf sich selbst zurückwirft wie dies bei einem Foto der Fall ist.
So können wir heute z.B. auch die Zerstörung der Welt mit schönen Fotos festhalten und dieses Festhalten läßt uns in der Illusion leben, wir würden dies besiegen.
Aber weil wir dann nichts mehr dagegen tun bleiben wir an der Oberfläche, dem Sichtbaren.
„Die Fotografie impliziert, daß wir über die Welt Bescheid wissen, wenn wir sie so hinnehmen, wie die Kamera sie aufzeichnet. Dies ist aber das Gegenteil von Verstehen, das damit beginnt, daß die Welt nicht so hingenommen wird, wie sie sich dem Betrachter darbietet.“
Jedes Bild ist endgültig und bietet dadurch die vermeintliche Sicherheit einer Aussage, die da gar nicht drin ist. Fotografisch vermittelte Erkenntnisse der Welt kommen über den Rahmen der Fotos nicht hinaus.
Deshalb steht am Anfang und am Ende jedes guten Fotos auch ein Text, der hineinführt, erläutert und weiterführt. Wenn Bilder mehr als tausend Worte sagen, dann insofern als sie das sagen, was man sehen kann. Aber Bilder ersetzen nicht tausend Worte über das, was man nicht sehen kann.
Daher ist Dokumentarfotografie auf Texte angewiesen.
Und gute Dokumentarfotografie braucht Informationen jenseits der Fotos, damit man überhaupt verstehen kann, was, wie, wann, wer, wo und warum, um nur dabei zu bleiben.
So steht für die Fotografie fest, am Anfang war das Wort und am Ende muß es sein, wenn wir die Welt hinter der Oberfläche verstehen wollen. Daher ist die Zeit der Bilderfluten eine Zeit, in der Worte noch wichtiger werden als früher.
Wer hätte das gedacht.
Wenn wir uns den Stand der Technik heute anschauen und die Kommunikationsformen des Menschen, dann können wir feststellen, daß heute Kommunikation nicht mehr ortsgebunden ist.
Früher sprachen die Menschen miteinander und Erlebnisse und Ereignisse und Erfahrungen wurden durch Auswendiglernen und mündliche Überlieferung weitergegeben. Dann gab es Höhlenbilder, die aber nur durch Erzählen wirklich erschlossen werden konnten.
Dann führte die Schrift zu immer mehr Möglichkeiten Gegenwart und Vergangenheit zu sehen und zu erlesen.
Die Technik des Buchdrucks machte es möglich, das Wissen nicht mehr personengebunden weiterzugeben.
Die digitale Technik ermöglicht nun die grenzenlose Kommunikation mit Fotos und Texten.
Dabei dominieren immer mehr die Fotos. Historiker nennen dies schon das Zeitalter des Visual Man.
Aber Anschauen reicht nicht, das führt nicht zu einer Anschauung, die durchschaut.
So sind Worte und Texte entscheidend für die Anschauung, die nicht gleichbedeutend mit dem Anschauen von Bildern ist.
Informationen werden mitgeteilt und angeschaut, Wissen erwirbt man durch Bildung, welche im besten Fall das Durchschauen ermöglicht.
Abschließend noch ein Hinweis.
Das Höhlengleichnis von Plato ist einige tausend Jahre alt, die Gedanken von Sontag dazu mehr als 30 Jahre. Meine Gedanken dazu sind direkt aus der Gegenwart. Dies zeigt, daß das Neue der Feind des Guten sein kann wie es Schopenhauer einmal schrieb. Neuer ist eben oft nicht besser – nur neuer. Dafür ist das Alte manchmal das Beste, nur nicht das Neuste.
Und einen guten Artikel, der das Thema noch etwas erweitert, habe ich später noch über google hier gefunden.
One thought on “Am Anfang war das Wort – Fotografie heute zwischen Plato, Sontag und mir”