Neue Heimat Leipzig von Mahmoud Dabdoub

Dabdoub Leipzig
Dabdoub Leipzig

„Das Buch vom Heimischwerden eines Palästinensers in Leipzig beginnt mit einem Selbstporträt… Ich hatte den deutlichen Eindruck, daß Mahmoud sein Bildermachen als eine Art Lebenshilfe betrieb.“

Diese Worte aus der Einführung von Helfried Strauss geben sehr schön wieder welch ein Juwel der Lehmstedt-Verlag hier aufgelegt hat.

Mahmoud Dabdoub fotografierte in Leipzig auf der Straße Menschen und Situationen in den letzten Jahren der DDR. Mit dem Blick von heute dokumentiert er damit nicht nur den Zeitgeist vor Ort sondern auch den Wandel und seine Grenzen. Als Ausländer hatte er dabei den neugierigen und noch ungefilterten Blick auf die Sitten und Gebräuche der deutschen Lebensweise.

Das kommt sehr gut rüber. Gerade die klassische Strassenfotografie ist ein Indikator für den Zustand der Gesellschaft.

Verena Hein hat das einmal so beschrieben: „„Die Straße als öffentlicher Raum zeigt damit weit mehr als intime Porträts, sie steht als Chiffre für die Möglichkeiten individueller Entfaltung und Lebensgestaltung.“

Insofern sind die Fotografien und sein damaliger Blick ein Glücksfall der visuellen Dokumentation des Zeitgeistes einer untergegangenen Epoche, die aber bis heute noch sozial und strukturell sichtbar ist. Denn er dokumentierte deutsch sein und deutsch leben im Alltag des öffentlichen Raums der DDR.

Mit scharfer Beobachtungsgabe blickte er auf den Alltag.

Wo fotografiert man eigentlich den Zeitgeist in einer Stadt?

Eigentlich doch im öffentlichen Raum, also dort, wo man sich zeigt und gesehen wird und zwar unabhängig von sozialen Barrieren.

Das ist völlig anders als z.B. eine Clubszene oder Veranstaltungen zu fotografieren. Denn der öffentliche Raum ist der Teil der Gesellschaft, den jeder fast so betreten und sich zeigen kann, wie er/sie will. Daraus resultiert dann auch die sich ständig verändernde soziale Landschaft, die sich durch räumliche und zeitliche Abgrenzungen und Wiederholungen manifestiert.

Deshalb fotografiert man den Zeitgeist eben auch dort, wo die Menschen sich treffen, im Zentrum, in Parkanlagen, auf Bahnhöfen etc.

Umgekehrt haben wir kaum Fotos von Jobcentern oder Sportstadien, weil dort Fotoverbote und Privaträume vorherrschen mit anderen Regeln obwohl dort oft sozial wesentliche Entwicklungen ablaufen mit weitreichenden Auswirkungen.

Und so bietet das Buch im Wortsinn Straßenfotografie mit unglaublich vielen Momenten und Personen. Heute wäre dies ohne Model release in fast jedem Fall gar nicht mehr möglich, weil oft Einzelpersonen gezeigt werden, allerdings nie diskriminierend. So ändern sich die Zeiten auch für das Fotografieren.

Das Buch des Fotografen Mahmoud Dabdoub zeigt somit viel mehr als nur Momente. Es zeigt Menschen in der Stadt Leipzig an öffentlichen und öffentlich zugänglichen Orten bis zur Wende, gut sieben Jahre lang.

Wer heute nach Leipzig reist, findet in diesem Buch einen wunderbaren Reiseführer zur damaligen sozialen Landschaft in der Innenstadt. So ist dem Lehmstedt-Verlag und Herrn Dabdoub gelungen Geschichte mit Fotos zu schreiben über das Alltagsleben und die vorhandenen Freiheiten.

Großartig!

Es ist im Lehmstedt-Verlag erschienen – gut gebunden und gut gemacht.

Mahmoud Dabdoub

Neue Heimat Leipzig

Fotografien 1982–1989

Mit einem Vorwort von Helfried Strauß
Herausgegeben von Mathias Bertram und Mark Lehmstedt

144 Seiten mit 120 Duotone-Abbildungen

24x 27 cm, Festeinband, Schutzumschlag, Fadenheftung

ISBN 978-3-95797-028-2

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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