American Realities von Joakim Eskildsen und Natasha Del Toro

americanrealities

Der Direktor des Time Magazine beauftragte Joakim Eskildsen, die wachsende Krise in den USA zu fotografieren. An insgesamt 36 Tagen in sieben Monaten fotografierte Eskildsen dort, wo nach den Statistiken die Armut am höchsten in den USA ist.

So entstanden Fotos, die die Armut fokussiert darstellen sollen oder wie Barbara Kiviat im Nachwort schreibt „These Vignettes reflect a broader reality.“

Satte Farben und ein bißchen Art Lomo-Effekt – so wirken die Fotos in dem Buch auf mich.

Alle großen Publikationen weltweit haben mittlerweile über die Fotos und das Buch und die vorgeschaltete Fotoausstellung berichtet z.B.:

Wie zeigt man Armut?

Eskildsen wählt den Weg des Porträts mit Umfeld bzw. Kulisse. Bemerkenswerterweise sind die Fotos alle ohne Erklärungen. Sie sollen so wirken. So wirken sie aber nur auf die Augen und solange sagen sie nichts.

Auf den Verstand wirken die Fotos erst durch die Erklärungen.

Im Buch selbst sind alle Fotos verkleinert mit jeweils einer eigenen Textspalte dann noch einmal im hinteren Teil abgebildet und detailliert erläutert. Das bringt dann doch mehr als die Farbspiele.

Reich technisch sind die Fotos schön farbig und etwas Vignette wirkt wie ein Fokus – auf die Farbe, auf die Armut?

  • Wie geht man damit um,
  • welchen Sinn haben solche Fotos,
  • welche Wirkung sollen sie erzeugen?

Laut eigenen Angaben hat Eskildsen die Menschen immer gefragt und durfte sie fotografieren.

In Deutschland sind dazu mittlerweile auch verschiedene fotografische Ansätze zu sehen, die immer wieder die Frage aufwerfen, wie die Stigmatisierung erlebt wird und wie die Armut erlebt wird und aussieht, die ja da ist. Hinzu kommt, daß hier die meisten eben nicht mehr fotografiert werden wollen, aber das scheint sich ja zu ändern. Beispiele für unterschiedliche Zugänge bei uns sind:

So kann man das Buch von Joakim Eskildsen mit anderen fotografischen Arbeiten vergleichen.

Armut zu fotografieren bedeutet eigentlich sich einzumischen. Denn es geht um Armut und Armut ist ein Begriff, der dazu dient, einen Notstand zu brandmarken, um ihn zu verbessern.

Es geht hier in dem Buch um den geplatzten American Dream, den amerikanischen Traum.

Sich nicht aufgeben lese ich in den Texten von Eskildsen und Natasha Del Toro. Die NZZ verwies in diesem Zusammenhang auf einen Weg in den USA, der schon parallel zur Ausstellung American Realities 2012 von  Rudolf Stumberger beschrieben wurde im Rust Belt.

Diesen gedanklichen Weg kann man aber auch verlassen und vom Engagement zur Wahrnehmung wechseln.

So hat Philip Gefter das Thema Armut in Amerika einmal mit dem Begriff societal view umschrieben. Fotografie wird zu einem gesellschaftlichen Blick, der nicht in erster Linie sozialdokumentarisch ist, sondern einen Blick auf Menschen ermöglicht rund um soziale Umstände.

Das Einmischen und das Abschaffen und vor allem die politische Dimension verschwinden und das persönliche Schicksal mit der persönlichen Verantwortung werden dabei fokussiert.

An dieser Stelle muß man dann aufpassen, daß man nicht fotografisch der neoliberalen Idelologe Opferfotos liefert.

Würde ich die Fotos von Joachim Esklidsen verorten, dann wären Sie nur im hinteren Buchteil sozialdokumentarische Fotografie und im vorderen Buchteil eher dieser schon mehr auf die Farben sich konzentrierende societal view.

Noch weiter gehe ich mit meiner Serie Passing Perception in der Armut noch abstrakter zu sehen ist.

Und wenn ich dann zu dem Buchtitel American Realities zurückkehre, ist das Soziale damit eben nicht festgelegt.

Eskildsen selbst sagt im Buch, daß es ihm um Portraits von Menschen geht, sozialkritische Aspekte kommen später. Mit diesen wenigen Worten sind die Fotografien in diesem Buch sehr treffsicher und gut beschrieben.

Das Buch portraitiert Menschen, die in armen Verhältnissen leben, eben American Realities. Das Sozialdokumentarische und die Sozialkritik schwingen darin, aber primär weder festgelegt noch engagiert wie es scheint, eher eine Mischung aus Kulisse und Hinweis auf schlechte Umstände.

Aber dieses Buch ist es wert betrachtet und gelesen zu werden.

Es regt zur Auseinandersetzung an, die Fotos sind gut aufgenommen und das Buch fordert letztlich von fotografierenden Menschen eine Haltung ein:

  • Will ich mich engagieren oder
  • will ich nur arrangieren,
  • was will ich zeigen,
  • will ich etwas damit erreichen,
  • soll es sozial wirken?

Ich finde dieses Buch klasse, weil man selbst Stellung beziehen muß.

Es ist im Steidl-Verlag erschienen.

ISBN 978-3-86930-734-3

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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