Es gibt im Verhältnis zu anderen Themen in der Fotografie erstaunlich wenig Bücher und noch weniger kritische Bücher, die sich mit dem Thema Arbeit beschäftigen.
Wir beginnen am besten heute.
- Es ist die Zeit des workingman´s death, der Tod der Arbeiterklasse, den Michael Glawogga so gut in einen Film gepackt hat.
- Wenn wir dann zurückschauen, kommen wir zuguterletzt bei Büchern heraus, die aus der Arbeit ein visuelles Vergnügen machen.
- Vor ein paar Jahren gab es nur wenig mehr Bücher zum Thema Fotografie und Arbeitsleben
- Arbeit als Thema der Fotografie war in den letzten Jahren eher zwischen Arbeiterfotografie und Berufe fotografieren angelegt
- Das darf man aber nicht mit dem Thema Arbeiterfotografie verwechseln
- Dabei verschwindet fotografisch und sozial die Realität der Arbeitenden aus dem Blickfeld
- Soziale Kämpfe als Wesensmerkmal werden selten dokumentiert und noch seltener aufgearbeitet
- 2013 war das Jahr der Propaganda zum Thema Arbeit im Sinne von länger arbeiten
- Arbeit und Alter und Lügenmärchen wurden zu einem festen Bestandteil der Regierungspropaganda in Deutschland
- Das war auch die Zeit als Fotowettbewerbe zu Propagandawaffen wurden
- Es geht dabei letztlich ja immer um soziale Themen wie Entlohnung, Bezahlung, Macht und Herrschaft und deshalb ist dies alles politische Fotografie, selbst wenn sie angeblich nur gegen Entlohnung die Funktionen der Arbeit aufnimmt
Wenn man sich z.B. die Fotos in der deutschen Fotothek von Friedrich Seidenstücker betrachtet, die auch in zwei sehr schönen Büchern in der Edition Braus z.T. zu finden sind, dann sieht man, wie sozialkritisch der Zeitgeist eingefangen werden konnte.
Stark sprechen die Fotos sozialdokumentarisch auch wenn der Mann selbst kein Arbeiterfotograf war, dafür fing er aber engagiert die soziale Wirklichkeit um ihn herum ein. Wenn man sich überlegt, daß Friedrich Seidenstücker heute als Streetfotograf verkauft wird, der gerne im Zoo fotografierte und Michaela Vieser in den Büchern der Edition Braus nun viele andere Fotos von Friedrich Seidenstücker zeigt, die großartige sozialdokumentarische Fotografie, auch Straßenfotografie, sind mit eindrucksvollen und erzählenden Inhalten, dann wird deutlich, wie der Zeitgeist die Brillengläser schärft oder blendet.
Ähnlich gut aber anders sind die Fotos von Erich Grisar und seine visuellen Notizen.
Ist Arbeit Leben und ist wenig entfremdete Arbeit Leben? Sind wahre Helden die, die arbeiten unter schlimmen Bedingungen oder sind die wahren Helden die, die soziale Bedingungen wollen, die diese Arbeitsbedingungen abschaffen? Theoretische Fragen weil die Machtfragen nicht mehr gestellt werden.
In der deutschen Fotothek gibt es unter dem Suchwort „Arbeit“ nicht einmal 10.000 Fotos für über einhundert Jahre Fotografiegeschichte und ganz viele Fotos davon sind nicht einmal aus Deutschland.
Aber die gibt es wenigstens. Fotos über entfremdete Arbeit sind immer auch Sozialkritik, solange Menschen noch frei denken dürfen und über genügend kritisches Bewußtsein verfügen.
Eine der größten Lücken in der aktuellen Fotografie ist das Thema Entfremdung in der Dienstleistungsgesellschaft.
Wenn ich diesen Satz schreibe, frage ich mich schon, ob das stimmt. Aus meiner Sicht in meiner Welt ist dies eine große Lücke. Aus Sicht der Herrschenden ist es keine Lücke. Insofern ist dieser Satz schon ein Musterbeispiel für die drei entscheidenden Fragen der politischen Fotografie im klassischen Sinne
- Wer hat Interesse an einer Darstellung der sozialen Verhältnisse?
- Wer hat Interesse, Partei zu nehmen zugunsten der „Schwächeren“?
- Wer finanziert diese Art von Fotografie?
Es ist eine Frage des Interesses.
Fotografie und das Zeigen oder Nicht Fotografieren und Nicht-Zeigen sind Mittel, um über die visuelle Kraft Veränderungen herbeizuführen oder eben nicht.
Wer will das, wer will was und wer bezahlt wofür?
In Deutschland für Soziakritik kaum jemand, in den englischsprachigen Ländern vielleicht noch eher jemand.
So ist das Thema Arbeit in der Fotografie unglaublich aktuell und aus meiner Sicht unglaublich wenig verbreitet.
Der Zeitgeist macht auch nicht mit.
Ob das mal anders wird?
Hi,
ich bin als Fotograf extrem viel in Arbeitswelten unterwegs. Der klassische Dualismus zwischen den „Herrschenden“ und den „Schwächeren“ halte ich auch nicht mehr für zeitgemäß und auch nicht mehr für richtig. Die Worker / Facharbeiter / Schaffer kommen mir sehr selbstbewusst, ausgeglichen und sich ihrer Rechte sehr bewusst vor. Gehetzt, neurotisch und ausgebeutet erscheint mir viel mehr das mittlere und gehobene Management. Die nachwachsende Generation kommt mit ganz anderen Erwartungen und formuliert diese auch, sie bestehen auf ein angemessenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit, sie wünschen sich Sinn-Erfüllung usw. und sagen das auch beim Einstellungsgespräch. Differenzierte Blicke (und Fotografien) sind erforderlicher denn je.
Viele Grüße
Christian