Es gibt Bücher, die kann man nicht kaufen.
In dem Buch Fancy Pictures aus dem Steidl Verlag sind einige fotografische Projekte von Mark Neville, die man nicht kaufen konnte, endlich zu einem kaufbaren Buch vereint.
In England sind die Unterschiede zwischen arm und reich unendlich groß und man spürt dies und sieht dies. Und trotzdem gab und gibt es dort Projekte, die in Deutschland undenkbar sind – seltsamerweise.
Mark Neville ist so ein Fotograf, der solche Projekte umsetzt. Er schildert in dem Buch in sehr guten Interviews, wie er sich auf sein erstes Projekt bewarb und daraus eine Dokumentation des von ihm gesehenen sozialen Lebens in einer kleinen Stadt machte. Dann druckte er ein Buch mit seinen Fotos und verschenkte es an die Bewohner des Ortes.
Dies alles ist in dem Buch Fancy Pictures dokumentiert und dargestellt. Damit fängt ein Buch an, das unglaublich viel zu zeigen hat.
Es ist in englischer Sprache.
Fancy Pictures sind ironische Bilder mit Blicken auf die Gesellschaft. Das spielt auf englische Malereien im 18. Jhrdt. an, wie wir dem Buch entnehmen können.
Mark Neville erhielt offenkundig nach seiner ersten Arbeit immer wieder Einladungen für neue Projekte. So dokumentierte er das Leben in einer abgelegenen ländlichen Community mit herzoglichem Hintergrund oder Menschen, deren Leben von einem genetischen Defekt bestimmt war, der auf die Umgebung zurückzuführen war, oder eben auch die soziale Landschaft in London – vor allem den Gegensatz von arm und reich in der Serie „Here is London“.
Es ist ein Buch, das nicht im Buchregal stehenbleibt sondern aufgeschlagen wird, weil es zeigt, daß sozialdokumentarische Fotografie auch heute möglich ist aber kein kommerzieller Erfolg dabei vorprogrammiert ist.
Mark Neville versteht sich als Künstler, der Fotografie und Film in sozialen Zusammenhängen einsetzt und damit seine Projekte umsetzt.
Begrifflichkeiten sind in meinen Augen heute eher eine Sache des Datums. Zumindest sind einige Fotos und Serien mittlerweile als Kunsprojekte von ihm auch verkauft worden aber letztlich ist alles zunächst privat gefördert oder mit öffentlichen Mitteln fotografiert worden.
Es sind soziale Landschaften, die er hier zeigt und die ohne seine Fotos nie zu sehen gewesen wären.
England ist ein Land voller Gegensätze. Der Gegensatz zwischen reich und arm ist groß und dennoch war und ist die Öffentlichkeit und die Gesellschaft bereit, Fotografen/Künstler dafür zu bezahlen, soziale Widersprüche und Gegensätze zu dokumentieren.
Das ist in Deutschland so aktuell wohl nicht möglich. Aber das ist eben auch ein Zeichen für das gebrochene Verhältnis zur Freiheit und freien Meinungsäußerung, die in Deutschland nur frei ist, wenn sie nichts transzendiert – obwohl genau darin die Freiheit liegen würde, auch die fotografische Freiheit.
Und so hat der Steidl-Verlag hier ein ganz großartiges Werk publiziert, das gar nicht richtig in Worte gefaßt werden kann, weil es einfach viel mehr ist als mit Worten gesagt werden kann.
ISBN 978-3-86930-908-8