Wie soll man Dokumentarfotografie dokumentieren? Über Linkverfall und Linkfäule

„Immer mehr Verlinkungen verschwinden oder werden sogar umgelenkt auf kommerzielle andere Inhalte. Das geschieht dann wohl bewußt und ist link.
Das kann ich gar nicht nacharbeiten und würde auch die authentische Struktur meiner Artikel und der damaligen Wissensbasis zerstören. Es gibt ja kein neues und besseres Wissen zu vielen meiner Themen sondern nur neue Themen.“

Mit diesen Worten wollte ich im letzten Jahr aus verschiedenen Gründen diese Webseite beenden.

Das hat dann so noch nicht ganz geklappt, weil ich meine eigene Entwicklung mit einbezogen habe.

So kam ich nach einigen weiteren Artikeln zu dem Schluß:

„Da ich meine gesamte bewußte Zeit in der Dokumentarfotografie im Rahmen dieser Webseiten unter verschiedenen Namen über ca. zehn Jahre als Ort der Reflexion, Dokumentation und Zusammenfassung verbracht habe, bot es sich natürlich an, die inneren Entwicklungen auch hier jetzt aufzuschreiben. Das ist ja das Neue in digitalen Zeiten. Das Ende ist immer nur der Schritt vor dem Update oder dem Wechsel des Betriebssystems.“

Und nun hat der deutschlandfunk das Thema Linkverfall und Linkfäule aufgegriffen. Das ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit überhaupt, wenn ich will, das Behauptungen noch belegt werden müssen.

Es steht nicht alles in Büchern und vieles Neue steht überhaupt nicht mehr in Büchern. Um es aufzugreifen, zu belegen und zu nutzen muß man es lesen und belegen. Aber das geht kaum noch.

Als ich in den Webseiten der gez Medien für Themenartikel meine Aussagen belegte wurden diese verlinkten Artikel aufgrund eines Gesetzes nach einigen Tagen unwiderbringlich gelöscht und man durfte sie auch nicht abspeichern, weil andere ja das Urheberrecht haben.

Man konnte sie zwar mit eigenen Worten wiedergeben aber der Beleg war weg.

Das setzt sich heute ja fort. Es gibt so gut wie keinen Zugriff mehr auf die meisten Bücher. Gäbe es die google Büchersuche nicht, bei der man Auszüge sehen kann, dann würde man nicht mal in diesem Rahmen etwas finden.

Und weil immer mehr gar nicht mehr als Buch erscheint wird es noch viel schwieriger. Denn fast überall soll man sich einen Zugang kaufen, um darauf zugreifen zu können. Selbst wenn man Zugangsmillionär wäre würde einem dies nichts nützen, weil man ja dorthin nicht verlinken kann, es ist ja vor dem Zugriff geschützt. Kopieren und online nutzen geht auch nicht, weil es urheberrechtlich geschützt ist.

Und dann gibt es ja noch das sog. Leistungsschutzrecht. Danach darf man ja auch nur mehr als ein paar Worte zitieren, wenn man dafür bezahlt, zumindest theoretisch.

Und dann gibt es bestimmt noch mehr, was ich übersehen habe.

Von heute aus betrachtet nach zehn Jahren publizistischer Arbeit an diesen Webseiten mit populärwissenschaftlicher Akribie und Zitierseriösität wären meine Blogs so wie damals wohl gar nicht mehr möglich.

Das ist das Dilemma. Es gibt immer mehr aber du kommst an immer weniger ran und darfst davon noch weniger zeigen.

So gesehen ist aus deutscher Sicht sicherlich auch archive.org illegal, obwohl wir froh sein können, daß es die Webseite gibt.

Und dann kommt ja noch die Systemfrage im Ablauf der Zeit hinzu.

Wenn sich die Maßstäbe für die Rechtsprechung ändern, wird man plötzlich kriminalisiert und z.B. bei freier Meinungsäußerung ein Verbrecher, so wie es die Türkei bei der Meinungsfreiheit gerade praktiziert und so wie wir es schon von den Hartz 4 Gesetzen kennen, wonach jede Zuwendung zur Kürzung des Hartz4 Satzes führt. Wer im Hartz4 Bezug fremd essen geht oder eingeladen wird ohne es zu melden, ist damit schon ein halber Sozialverbrecher.

Aber das ist noch nicht alles. Es gibt ja noch mehr. Wer das liest und an die heutige Asylsituation denkt, der merkt, daß wir schon weiter sind. Man darf ohne Personalpapiere und eindeutige Belege hier rein gegen geltendes Recht, erhält Geld und darf hier leben. Eine Parallelwelt mit einem Sonderrecht voller Privilegien für Asylsuchende ist entstanden neben dem Sonderrecht für Staatsbürger, die bei Arbeitslosigkeit polemisch gesagt für ihren Fleiß bestraft werden und verarmen müssen.

Ich nenne diese Beispiele, weil sie zeigen, daß auch bei uns schon rechtlos oder per Sonderrecht agiert wird neben dem Grundgesetz und nicht nur die Türkei Murks macht.

Oder gibt es Leser, die etwas hiervon bestreiten? Das Schlimme daran ist ja, daß ich dies alles belegen kann.

Und dies hat mit dem Thema zu tun, über das ich hier gerade schreibe.

Im deutschlandfunk heißt es dazu:

„Die ganze Zivilisation ruht auf Quellensicherheit

Ist das nicht bloß ein Problem des Wissenschaftsbetriebs und kaum von allgemeiner Relevanz? Nein. Unsere Zivilisation beruht auf einem umfassenden Zitier- und Quellenangabesystem. Weit über die Wissenschaft hinaus bestimmt dieses unsere Identität, nicht zuletzt, weil wir uns dauernd auf religiöse Urtexte rückbeziehen. x

Selbst wenn man sie als irrationale Artefakte ignorieren würde, bliebe immer noch unsere Jurisdiktion, die ebenfalls aus einem Verweissystem von Texten bis zurück in die Antike besteht. Ohne Quellenverlässlichkeit verlöre sie ihre Legitimation. Durs Grünbein verweist darauf, dass der Ursprung des lateinischen Begriffs citatio „im Bereich der Rechtsprechung lag – als terminus technicus, der die Vorladung vor ein Gericht bezeichnete.“ xi

Das Textzitat ist also die Vorladung eines geistigen Zusammenhangs, den man nicht einfach bloß behaupten darf, sondern untermauern muss. Erscheint der Vorgeladene ohne Personalpapiere, also ohne Quellenangabe, ist Misstrauen angesagt. Was aber – und damit kehren wir zur Zukunftsannahme der totalen Verstromung zurück -, was, wenn die erste Bedingung des Zitierens, eine Quelle müsse vorhanden sein, gar nicht mehr sichergestellt werden kann?

De facto ist ein Buch vorhanden, eine Datei nicht. xii Die in ihr lockergeschriebene Information besitzt keine irreversible Zeitlichkeit, womit sich ihre Gestalt ein für allemal festlegen ließe. Dateien sind und bleiben unfixierbar, ganz anders als Obeliske, Tontafeln und Bücher, weswegen sie nicht als Quellen, sondern nur zum Ozean taugen.“

 

Insofern geht es nicht nur um Bücher sondern es geht gerade um die Grundlagen unseres Daseins, um unseren Rechtsstaat und die Chance in einer aufgeklärten Zivilisation zu leben.

Belegbarkeit ist die Grundlage unseres abgesicherten Zusammenlebens. Und Verlinkung mit freien Texten ist die Grundlage des Internets. Und genau das wird gerade systematisch abgeschafft. Nicht mal alle Doktorarbeiten sind frei zugänglich und selbst mit Steuergeldern abgehaltene Tagungen und die Tagungsergebnisse sind online oft nur gegen Geld verfügbar.

Und damit sind wir noch nicht bei Fotos. Die bringe ich erst hier ein. Ja was ist eigentlich mit Fotos und deren Zitierwirkung? Wie bei digitalen Texten sind sie oft nur gegen Geld einsehbar und dann noch nicht zeigbar. Und was google darf dürfen wir alle noch lange nicht wie das Beispiel der Bildersuche zeigt.

So leben wir in einer Zeit, die nicht besser ist als früher. Sie birgt neue Gefahren und hat bisher kaum gute Antworten. Denn dann müßte neu gedacht werden über Staatsaufgaben wie die Absicherung im Alter, die freie Verfügbarkeit von Texten und Fotos und die Stellung von Büchern und Bibliotheken.

Und letztlich fragt man sich dann auch selbst so wie ich, soll man die Webseite vom Netz nehmen oder nicht. Diese hier ist in der Deutschen Nationalbibliothek zwar gesichert aber viele andere sind es nicht und viele werden paradoxerweise aussortiert, wenn sie nicht mehr online sind.

Welchen Wert hat das alles hier, was ist uns was wert und was sollte uns was wert sein?

Gute Fragen, zu denen der Beitrag im deutschlandfunk „Wahrheit ist Belegbarkeit“ von Florian Felix Weyh sehr konstruktiv beiträgt und der mich hier dazu gebracht hat, dies konkret zu diesem Thema weiterzudenken.

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

2 thoughts on “Wie soll man Dokumentarfotografie dokumentieren? Über Linkverfall und Linkfäule

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