Der letzte Akt und der neue Anfang

Wenn man auch Akteur war, dann bleiben dokumentarische Aufnahmen/Fotos sozialer Kämpfe auch nach Jahren beim neuen Anschauen nicht im Anzug stecken.

Als ich nun die Fotos zusammenstellte und als Fotobücher publizierte, kamen so viele Erinnerungen, Bilder von Menschen, Verwundungen und Verschwörungen und Hoffnungen wieder hoch, daß ich das Gefühl hatte, wieder darin und dabei zu sein.

Der Anblick der damaligen Situationen hat mir sehr geholfen, mich der eigenen erlebten Vergangenheit zu stellen. Aber das neue Sehen macht die alten damit verknüpften Erlebnisse wieder aktuell im Kopf lebendig. So war ich jetzt wieder mittendrin statt nur dabei.

Daher bin ich sehr froh, daß diese fotografischen Dokumente der sozialen Kämpfe gegen die Rente mit 67, die Agenda 2010 und Hartz 4 und den politisch gewollten Abbau von Arbeitsplätzen ohne Happyend nun für die Erinnerungskultur im Stadtarchiv in Solingen und in Remscheid angenommen wurden und jenseits von mir anderen Menschen Blicke darauf ermöglichen.

Das berührt direkt die Gegenwart und insofern bin ich doppelt froh, diese Erinnerungen nun teilen zu können.

Jetzt fühle ich mich viel freier aber 1999, 2009 und 2019 bedeutet auch, daß ich mich erst nach zehn Jahren Distanz und viel Hilfe daran geben konnte. Und bei Vollmond im Steinbock war es dann heute soweit – passt irgendwie.

Frei von – frei für und voller Grenzen – alles Ergebnisse dieser Zeit über die ich visuell geschrieben habe. Es bleibt eben nicht in den Klamotten hängen, sondern bestimmt die Gegenwart bis man damit bewußt lebt, um weiterleben zu können und es so zu überwinden.

Ich kann nur sagen, es ist gut, daß es Dokumentarfotografie gibt und die Möglichkeit mit Fotografie als Methode der Wirklichkeitsaneignung zu leben.

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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