„Mit der Fertigstellung des Krematoriums III in Auschwitz Birkenau Ende Juni 1943 waren dort sämtliche Mord- und Verbrennungsanlagen funktionsfähig, die zusammen mit dem alten Krematorium in Auschwitz I 4756 Menschen am Tag einäschern konnten. Stolz benachrichtigte Karl Bischoff, Leiter der Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei Auschwitz, Hans Kammler über die „Leistung“ und Daten der Anlagen: 1440 Leichen pro Krematorium II und III sowie 768 Leichen pro Krematorium IV und V.“
Dieser kleine Textausschnitt von Seite 30 des Buches von Tal Bruttmann, Stefan Hördler und Christoph Kreutzmüller zeigt, was für eine Tiefe und Detailgenauigkeit die Autoren an den Tag legen.
Ihr Ziel ist die Erforschung und Einordnung des von Lili Jacob bzw. Meier gefundenen Fotoalbums, das von SS-Fotografen zur Dokumentation gemacht wurde.
Das später Auschwitz-Album genannte Fotoalbum enthält von der SS gemachte Aufnahmen, die den gesamten Tötungsbetrieb in Auschwitz zeigen.
Die Autoren des Buches schildern nüchtern wie Deutsche fabrikmäßig andere Menschen aussortierten und töteten und verwerteten.
Anhand der Fotos, die sie in dem Buch detailliert fotografisch auswerten, indem sie z.B. Details vergrößern, kommen neue Informationen ans Licht.
Da vor ein paar Jahren Auschwitz aus der Linse der SS als Arbeitsplatz schon publiziert wurde, sind auch diese Fotos mit herangezogen worden, um einiges besser einzuordnen und das gesamte Mordgeschehen darzustellen.
So entsteht vor den Lesern dieses Buches ein Bild vom Morden in Auschwitz und der Normalität des Verbrechens in einer Diktatur ohne Menschenrechte, die Millionen Andersdenkender vernichtete.
Wenn die deutschen Mörder nur ein paar Meter hinter dem Krematorium ihren Garten und ihr Haus haben, erkennt man eine „Normalität“ die es zukünftig zu verhindern gilt.
Wer ein fühlendes Herz und einen kalten Verstand hat, der wird bei diesem Buch nicht ungerührt bleiben und sich viele Fragen stellen.
Es ist ein wesentliches Buch und es ist ein Buch über Dokumentarfotografie. Es zeigt u.a. auch wie man aus Fotos mehr lesen kann als die Fotografen wollten.
Die Autoren schreiben dazu: „Wir wollten unsere Augen jedoch nicht veschließen, sondern hinter die so wirkmächtig präsentierte Sicht der Täter blicken und ihre Vielschichtigkeit entziffern. Nur dann kommen auch die Widersetzlichkeiten in den Blick, die eher en passant in die Fotos gerutscht sind. So sind im Album drei junge Frauen und ein Junge zu sehen, die dem Fotografen die Zunge rausstrecken oder ihr Gesicht zur Grimasse verziehen. Diesen vier Menschen, die auf Seite 2 abgebildet sind, ist das vorliegende Buch gewidmet.“
Und die Fotos sagen hier tatsächlich mehr als tausend Worte: „Da der Massenmord häufig auf informellen Absprachen und Abstellungen beruhte, für die es keine schriftlliche Überlieferungen aus der Zeit gibt, sind die Fotos von ungeheurem Wert. Sie enthalten zudem eine Vielzahl von komprimierten Masseninformationen, zeigen teils tausende Menschen, die sich in den Anlagen des Lagers bewegten. Es bräuchte Tausende Seiten Papier, um all diese Informationen niederzuschreiben.“
So ist dieses Buch nicht nur ein Buch über Dokumentarfotografie und Massenmord, sondern auch eine neue Art von Geschichtsschreibung, die Fotos als Quellen mit benutzt.
Es gibt auch eine klare Einordnung, welche sozialen Gebrauch diese Fotos hatten: „Im Auftrag der SS-Führung … sollte der Leiter des Erkennungsdienstes, Bernhard Walter, die Leistungen des SS-Standortältesten Auschwitz beim „Ungarn-Programm“ in bestem Licht präsentieren. Unter Ausblendung des eigentlichen Mordvorgangs spiegeln die Fotos den Versuch, den zweigleisigen Prozess der Ankunft, „Aussortierung“ und „Weiterleitung“ der Jüdinnen und Juden und ihrer letzten Habe als eingespielte, effiziente Verwertungskette zu fixieren.“
So entsteht ein Buch, das die Aktualität dieser Verbrechen mit neuen Blicken auf Fotos als Quellen seriös, stark und überzeugend darstellt.
Bruttmann, Tal / Hördler, Stefan / Kreutzmüller, Christoph
Die fotografische Inszenierung des Verbrechens
Ein Album aus Auschwitz
978-3-534-27142-9
Hinweis