Siegfried Wittenburg, Leben in der Utopie. Fotografien 1980-1996

Klugerweise hat der Mitteldeutsche Verlag dieses Buch noch einmal aufgelegt.

„Nach nunmehr fast dreißig Jahren Wiedervereinigung zeigt sich, dass auch viele Deutsche in West und Ost kein präzises Bild der Zeit vor 1990 mehr vor Augen haben … Gegen ein solch langsames und unmerkliches Verschwinden von lebendiger Erinnerung kann das Medium Fotografie helfen.“
Das schreibt Valeria Liebermann im Vorwort dazu.

Wollen wir es hoffen!

Das Buch ist jedenfalls authentisch und eine Quelle erster Güte.

Eine Wäscheleine zwischen den Mietshäusern war nach den Erzählungen meiner Familie immer Treffpunkt für soziale Kontakte und weitere Verabredungen.

Und was ist das erste Foto im Buch?

Genau – eine Wäscheleine voller Wäsche.

Und so sind in dem Buch schön erzählte kurze Geschichten und Fotos aus der Zeit und von den Ereignissen, die Siegfried Wittenburg begleitet hat.

Man kann nie alles zeigen, Ausschnitte und konkrete Momente sprechen für sich.

Genau so ist es auch in diesem Buch.

Pars pro toto zeigt es den Alltag im Sozialismus und das soziale Leben in Wirklichkeit, ungeschönt und wahr – soweit Fotos wahre Wirklichkeit zeigen können.

Meiner Meinung nach gelingt es hier sehr gut. „Die Fotografien zeichnen persönliche Ereignisse auf, die gleichzeitig eine allgemeingültige Bedeutung besitzen“, schreibt Frau Liebermann.

Ich gehe sogar noch weiter. 30 Jahre nach dem Ende der DDR erleben große Teile der neuen BRD dasselbe nur unter neuen Vorzeichen. Einerseits wird neu gebaut, andererseits ist „die unerträgliche Ödheit halbverlassener ehemaliger Industriestädte“ eine zunehmende Realität.

Das Buch ist so konkret in Bild und Text, daß es im Kopf einfach weiterlebt und anregt, sich damit weiter zu beschäftigen.

Es ist im Mitteldeutschen Verlag neu aufgelegt worden und eine klare Kaufempfehlung.

Siegfried Wittenburg
Leben in der Utopie
Fotografien 1980–1996
Mit einer Einführung von Valeria Liebermann

2., durchgesehene und überarbeitete Auflage 2019
144 S., Br., 220×270mm, s/w-Fotografien
ISBN 978-3-96311-241-6

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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