Friedrich Engels fehlte die Kamera von Lewis Hine – auf dem Weg zur Sozialdokumentarischen Fotografie

„Zwar wurde die Photographie als das Dokumentationsmedium schlechthin gepriesen, aber was mit der „sozialen Frage“, Pauperismus und Massenarmut zusammenhing, die im Vormärz eine beträchtliche Diskussionen auslöste, blieb weitgehend undokumentiert. Phänomene wie Armut und Lebensweise der Unterschichten wurden äußerst selten mit der Kamera festgehalten. Obwohl gerade die Photographie ein eher entspanntes Studium solcher Verhältnisse erlaubt hätte, ohne persönlich vor Ort erscheinen zu müssen, wie Friedrich Engels 1842 bis 1844 in den Armenvierteln Manchesters. Auch andere Kritiker der sozialen Verhältnisse haben die Photographie nie zu diesen Zwecken eingesetzt mit Ausnahme Henry Mayhews.“

So fasst Jens Jäger dies in seiner Schrift „Gesellschaft und Photographie …“ zusammen.

Der Einzige aus dieser Zeit war laut Jäger Henry Mayhews, dessen Buch bei archive.org zu finden ist und eine Untersuchung darüber in der British Library.

Wenn ich mich nun Friedrich Engels zuwende, der sein Buch über Die Lage der arbeitenden Klasse in England 1844 und 1845 in Barmen schrieb, – oder die Briefe aus Wuppertal vorher – dann wird die Stärke und die Grenze von Augenzeugenberichten deutlich.

Es entstehen gute und große Bilder vor den eigenen Augen, aber es fehlen die Fotos.

Friedrich Engels fehlte die Kamera von Lewis Hine, könnte man auch sagen.

Engels lebte von 1820 bis 1895 und Lewis Hine von 1874 bis 1940. Engels war reich Hine war arm.

Wenn man sich die Frage nach dem Sinn sozialer bzw. sozialdokumentarischer Fotografie stellt, dann wird beim Vergleich von Engels zu Hine ihr elementares Anliegen und ihre Kraft deutlich.

Man kann kaum einen besseren Vergleich finden als diese beiden Persönlichkeiten, um den Weg vom Wort zum Bild in der Dokumentarfotografie zu beschreiben.

Nun denn, wie stark wirken Fotos?

„Als Lewis Hine 1940 starb, konnte er stolz auf sich sein. Die Welt wurde besser, weil es ihn und seine Arbeit gab, ohne den Fotografen wäre sie schlechter. Wer kann das von sich sagen.“

Diese Sätze von stern.de lassen keinen Zweifel an der durchschlagenden Wirkung von dokumentierenden Fotos – wenn die Herrschaftsverhältnisse es zulassen und wenn es so sein sollte. 

Leider bleibt bei stern.de unerwähnt, dass Hine vom Ruhm nicht leben konnte und völlig arm starb. 

Auch über Kinderarbeit gibt es heute noch Fotodokumentationen mit starken Fotos.

Die Fotos von Lewis Hine zeigen wie es war.

Sie dienten als Dokument und als Waffe, als Zeugnis und als Zeitdokument.

Dokumentiert wird bis heute unter neuen Bedingungen und mit neuen Kameras.

Welche Wirkung hat dies heute?

Eine Frage für einen langen Abend…

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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