Wenn ich versuche nur das aktuelle fotografische Geschehen zu sehen, dann blicke ich auf und in die Gegenwart und fotografiere im Jetzt.
Die Fotoapparate machen immer noch Fotos, nur die Technik ist anders als früher und ermöglicht heute einfacher zu fotografieren.
Es gibt beim Hier und Jetzt keine Richtung, nur eine Entwicklung, die wir mit ihren Themen fotografisch im Zeitgeist zeigen können.
Und so geht es voran ohne Ziel, weil der Weg das Ziel ist.
Neuer ist nicht besser.
Ich nehme dafür als Beispiel Gordon Parks.
Seine atmosphärischen Fotos von damals können heute nicht besser gemacht werden, weil die visuelle Grammatik der Menschen gleichbleibt, nur die Moden der Architektur, der Kleidung und der Geräte sind anders, aber die Themen sind gleich, weil der Rahmen des Menschseins immer gleich ist.
Gleichgute Fotos wie damals in der Gegenwart heute zu machen ist daher die Herausforderung.
Geschichte ist die Gegenwart, die gerade war. Und so ist der Blick auf die Gegenwart ein Blick auf die Geschichte von Morgen.
Was wir im Kopf haben ist die Gegenwart, die schon Geschichte ist.
Ohne Gedächtnis leben würde bedeuten, digitale Demenz zu leben.
Dass dies nicht erstrebenswert ist, zeigt die Begegnung mit Menschen, die real dement sind und sich nach dem Kaffeetrinken umdrehen und fragen, ob es denn heute keinen Kaffee gibt?
So kann man als Mensch nicht leben in meinem Verständnis. So wären wir nicht lebensfähig. Das Bewußtsein der Existenz und das Empfinden von Zeit und Raum sowie der Wille unterscheidet uns von den Tieren.
Daher kann der Blick auf die Gegenwart immer nur gelingen, wenn er vorbehaltlos aber nicht erkenntnislos geschieht. Denn man kann nur sehen, was man sieht, weil man es erkennt, also es auch bewußt ist.
Ein kleines Beispiel mag dies illustrieren – wie fotografiert man eine Krise? Das kommt darauf an, was man überhaupt sieht.
Was sehen wir, was sehen andere? Die Asiaten sehen, daß wir keine Masken tragen, wir sehen, daß die Asiaten Masken tragen.
Es kommt eben darauf an, die blinden Flecke im eigenen Blick zu finden.
Deshalb ist es wichtig, nicht nur zu wissen, was früher war, weil man so mit der Brille von früher auf heute blickt. Man muß auch wissen, daß man diese Brille mental trägt und dann versuchen, sie abzusetzen oder zumindest anders damit zu schauen.
Wenn es gelingt, wenigstens manchmal die Matrix zu verlassen, hat man viel erreicht und neu gesehen.
Das war auch früher schon so, aber heute verstehen wir manches besser.
Die Konstante ist der Wandel, ob wir wollen oder nicht.
Das neue Sehen ist letztlich eine philosophische Frage – will ich neu sehen oder suche ich beim Sehen das Alte?
Wie schreibt es Thomas Hohensee in seinem Buch „Reset“:
„Der Buddha nannte es dukkha: das Unbefriedigende, das Unvollkommene in allem. Er erkannte, dass es sich um ein zeitloses, universelles Prinzip handelt. Wir selbst und die ganze Welt sind in ständiger Veränderung begriffen. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Werden und Verwelken. Der fortlaufende Wandel macht Vollkommenheit unmöglich.“
Und wenn wir dies Akzeptieren können wir auch neu sehen lernen – und dann dient das Gestern als Maßstab, um das Heute entdecken zu können.
Es ist das Prinzip von Yin und Yang.