Mister White ist die Hauptperson im Roman „Stiller“ von Max Frisch.
Frisch „erzählt gegen die Bildnisse an, die sich die Menschen .. voneinander machen, und setzt ihnen die Einsicht entgegen, dass – und jetzt sind wir wieder mitten im Thema – alles, was der Einzelne von sich noch aussagen kann, er sich aus der Requisite der Lebenswelt zusammengestohlen, abgekupfert hat…. so dass man Adorno Recht geben möchte…, dass bei vielen Menschen… es bereits eine Unverschämtheit sei, wenn sie ICH sagen.“
So schreibt es Philipp Theison auf Seite 464 in seinem Buch Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte.
Was hat das nun mit Fotografie zu tun?
Einen Moment noch.
Anna Mayr ist Journalistin bei der Zeit. Sie wurde auf jetzt.de interviewt:
„Du schreibst, dass wir unsere Identität herbeikonsumieren. Arbeitslose seien von dieser Identitätsbildung ausgeschlossen. Was meinst du damit?
Jeder drückt durch das, was er kauft, aus, was er sein möchte. Wenn man aber kein Geld hat oder nur genau so viel, um das Billigste zu kaufen, wird einem die Freiheit genommen, zu bestimmen, wer man sein möchte.“
Damit bin ich bei der Fotografie.
Welche Rolle wollen Sie spielen? Welche Identiät wollen Sie herbeikonsumieren?
Noch mal einen Gedanken aus dem Interview mit Anna Mayr:
„Aber ich kann mich doch auch ohne Geld identifizieren, indem ich zum Beispiel joggen gehe oder auf einem alten Handtuch draußen Yoga mache.
Auch das alte Handtuch ist Symbol einer Second-Hand-Öko-Bewegung, auch Yoga-Kurse sind Konsum. Aber das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen. Es ist auch in Ordnung, wenn jemand sich eine Rolex kaufen möchte, um in seinem Milieu akzeptiert zu werden. Jeder Mensch ist in bestimmte Wertesysteme eingespannt und wir versuchen alle nur, möglichst gut klarzukommen. Konsum bestimmt unseren Alltag.“
Das war früher auch schon so. Es hat sich nichts geändert außer daß jüngere kluge Frauen jetzt das entdecken, was bisher auch schon galt.
Damit sind wir aber auch mitten in den sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie angekommen. Wir treffen Pierre Bordieu und gehen mit seinen Gedanken in eine neue Zeit, nämlich in die Gegenwart 2020.
Und deshalb sind die VOR-BILDER so wichtig, die es aber bei den neuen Digitalkameras so gar nicht mehr gibt. Influencer sind sowieso keine Vorbilder, weil sie nichts leisten und können.
Aber Profifotografen*innen können auch keine mehr sein, weil dies mittlerweile einer der unattraktivsten Berufe ist, es sei denn, man kommt aus reichem Elternhaus und ist darauf nicht angewiesen – so paradox es auch klingen mag.
Man kann nicht mehr einen Henri Cartier-Bresson hervorholen und ihn als Beispiel für eine analoge Leica M nehmen, die tolle Strassenfotografie macht.
Mit den Digitalkameras heute gibt es nur noch Sensorfotos. Mögen die Sensoren auch wachsen und die Pixel immer mehr werden – es reicht nicht mehr, weil das Iphone 11 Pro aus der Hosentasche auf die Schnelle alles bietet, was man so für seine herbeikonsumierte Identität braucht.
Und jetzt?
Jetzt ist Liebhaberei die Eigenschaft, die Absatz schafft. Es sind einerseits definierte Gruppen, zu denen man nur gehören kann, wenn man bestimmte Produkte gekauft hat und es sind andererseits Eigenschaften bestimmer Produkte, die dazu führen, daß man sie haben will.
Leica macht es über den Preis aber 5000 Euro plus x sind wohl nur für die reichen 5% der Bevölkerung attraktiv und für die Generation Iphone eher sowieso nicht attraktiv, weil diese andere Anforderungen stellt als kiloschwere Brocken zu schleppen, die man mühsam für ein Foto einstellen muß.
Leica war eigentlich nie für Sportfotografen sondern eher für Reporter mit der M oder für Landschaft mit der R gemacht. Journalisten heute brauchen eher ein Iphone durch veränderte Arbeitsweisen und Anforderungen.
Und Fuji ist ja erst seit ca. 2010 so richtig digital aktiv mit Kameras und größeren Sensoren. Sie machen viel für Amateure und Liebhaber digitaler Kreationen mit manuell-analogen Möglichkeiten.
Fuji geht klüger vor wie man an der X-E3 sieht, die alles hat, was man für ein Smartphone braucht, das nicht alles kann und die entwicklungsfähig ist und nicht so groß.
Kameras im Messsucher-Stil gibt es ja eigentlich nur noch von Fujifilm, Leica, Sony und Panasonic Lumix, wobei Fujifilm in meinen Augen den besten hybriden Sucher hat.
Keines der Unternehmen hat aber aktuell VORBILDER für seine Produkte, weil die Influencer es nicht bringen und nicht können und auch nicht die erreichen, die sich dafür interessieren.
Wie erreicht man nun die Amateure, die sich dafür interessieren?
Auf jeden Fall nicht mit Foto-Profis.
Der neue Cartier-Bresson heisst Mister White.
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