Paradoxe Zeiten zwischen Digitalkamera und Smartphone

Aktuell (2021) ist auf dem Fotomarkt allerlei los.

Bei Foto Schuhmacher habe ich erfahren, dass das gedruckte Wort in Zeitschriften durch Bewegtbilder abgelöst worden ist und Influencer mit Videos die Meinungen bestimmen: „Wer über 25 Jahre den Fortschritt verschläft, wird irgendwann tatsächlich von der Geschichte bestraft. … Im Anglo-amerikanischen Raum sagt und schreibt man dies inzwischen auch ganz offen: Das gedruckte Wort ist weitgehend tot. Und das geschriebene Wort hat selbst im Internet inzwischen einen schweren Stand.“

Ich habe nichts gegen Videos aber es ist anders.

Doch es entspricht mehr dem Zeitgeist und den neuen Menschen mit den neuen Medien wie bei Dr. Schuhmacher zu lesen ist: „Es ist für die meisten Menschen einfacher, einen Film anzusehen, als einer Radiosendung über ein Fotothema zu folgen oder gar einen Text dazu zu lesen. Man bekommt vom Influencer, wie vom Nachrichtensprecher alles vorgelesen. Das hat durchaus etwas vom Verwöhneffekt der frühen Kindheit, als Mutter oder Vater einem vorlasen. Ferner kann man sich bei YouTube (wie beim Fernsehen) nebenbei berieseln lassen und nebenher einer weiteren Tätigkeit nachgehen. Letzteres ist beim Lesen von Artikeln erheblich erschwert.“

Dies bedeutet, sie befinden sich hier auf meinem Blog in der alten Welt.

Wenn Sie nun weiterlesen, dann gehören Sie wohl zu den Menschen, die gerne eigene geistige Anstrengungen durch Lesen und Denken auf sich nehmen statt sich nur „berieseln“ zu lassen.

Das finde ich gut.

Damit komme ich zum Thema der Paradoxie von Preis und Wert.

Ich beschäftige mich gezwungenermassen mit den Preisen von Digitalkameras und Smartphones, weil mein Budget sehr begrenzt ist.

Vor einem Jahre habe ich mich gefragt, ob ich mir die Canon Powershot G5x Mark II  kaufen soll.

Jetzt sind wir ein Jahr weiter.

Aktuell stand ich vor der Frage, ob ich mir das neue Sony Xperia 10 III für (Juni 2021) 429 Euro kaufen soll.

Da stieß ich beim Preisvergleich durch automatische Empfehlungen auf die Canon Powershot G5x von 2016, also den Vorläufer der Mark II, die ich im letzten Jahr als Objekt der Begierde anvisierte und die jetzt noch teurer ist, so dass ich sie erst recht nicht kaufe.
Die G5x wird aktuell (Juni 2021) mit Halbtasche im Set für 399 Euro angeboten.

Irgendwie wurde mir dabei erneut klar, daß dies alles eine digitale Wendezeit symbolisiert.

Da ich eher Kameras im Messsucherstil mag, habe ich sie zunächst nicht beachtet. Aber nachdem sie fast 500 Euro günstiger ist als die G5X Mark II blickte ich genauer hin.

Die Canon Powershot G5x ist eine ausgewachsene und richtig gute traditionelle Digitalkamera, die in der Praxis viel besser ist als ihr getesteter Ruf. Durch ihre reduzierte Mechanik dürfte sie praktisch auch weniger Fehlermöglichkeiten bieten.

Auf lichtgriff.de habe ich dazu einen sehr substanziellen Artikel gefunden, welcher zeigt, wie gut die Kamera ist und welche Fortschritte die Fototechnik gemacht hat.

Und ich verglich die G5X von 2016 mit dem Sony Xperia von 2021. Für mich ergab sich dabei, daß hier völlig verschiedene Wertigkeiten und parallele Welten vorliegen.

Dazu gibt es ein schönes Bild: „Historisch ist es im Übrigen ein altbekanntes Phänomen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Die technisch hochwertigsten und viel bestaunten Dampflokomotiven wurden erst entwickelt, als es bereits Diesel- und Elektroloks sowie Personenkraftwagen gab. Aber sie änderten den Lauf der Technik- und Wirtschaftsentwicklung nicht mehr.“

Wie schnell gibt man dann doch 429 Euro im Ratata Verfahren aus für ein Gerät, das man schon im Kopf nach spätestens 24 Monaten ablöst.

Und auf der anderen Seite ist eine Kamera, die gut und gerne 10 Jahre halten kann, eine gute Bildqualität über alle Brennweiten hat und – wie ich jetzt weiß – mal eben per Wifi ein Foto an ein Smartphone schicken kann, um beide Welten zu verknüpfen. Das klappt mit der Canon App problemlos.

Ich habe mich zunächst für die Canon entschieden, obwohl das Sony sicherlich interessant ist, weil ich lieber eine noch lange nutzbare DSLRartige Digitalkamera mit einem guten Sucher nutzen möchte, die ich ohne Aufwand überall mitnehmen kann.

So kann ich nun mein vorhandenes Smartphone mit dieser Kamera kombinieren und erhalte Fotos von 24 bis 100mm Brennweite, die kein Smartphone so bieten kann.

Natürlich können teure Smartphones mit Preisen über tausend Euro noch andere Dinge, weil die stärkere Rechenleistung und KI neue Welten erschaffen.

Aber ersetzen sie die Möglichkeiten, die Umsetzung und das Gefühl des traditionellen Fotografierens  mit Sucher und schwenkbarem Monitor?

Für mich nicht.

Den Sensor der Powershot G9x, der angeblich derselbe wie in der Powershot G5x sein soll, habe ich vor einiger Zeit mit dem Motorola One Zoom Smartphone verglichen.

Wenn es nur nach der Bildqualität der Hauptkamera gehen würde, dann wäre dieses Smartphone vielleicht die Alternative, zumal es zusätzlich in abgeschwächter Qualität einen Ultraweitwinkel, ein optisches Tele und RAW bietet. Es bietet Anderes auf andere Art.

Hinzu kommt, für mich als Amateurfotograf ist die Freude am Fotografieren entscheidend.

Dr. Schuhmacher schreibt auch dazu und meint: „Das Retro-Design mit vielen Schaltern und Drehknöpfen oben auf den beiden Schultern der Kameras hat Vorteile. Der Autohersteller BMW erkannte bereits vor Jahrzehnten, wie wertvoll – weil treffend – der Slogan Freude am Fahren ist. Fuji setzte es beim Retro-Layout vieler Kameras erfolgreich um, und ich schreibe seit vielen Jahren unter viele Artikel sowie E-Mails Viel Freude beim Fotografieren. Die Kamera-Hersteller sollten diesen Aspekt nicht aus den Augen verlieren.“

Ich gebe zu, daß man dies alles auch anders sehen kann weil es „altes“ Denken ist. Aber ich denke und lebe so „alt“ und habe in der Canon Powershot G5x einen echten DSLR-Ersatz gefunden.

Sie reicht mir voll und ganz, wenn ich nicht viel mitnehmen möchte und ein Sucher und ein schwenkbarer Monitor eben doch mehr bieten als eine Handyplatte.

Und ich frage mich ob „alt“ nicht eher das neue „Alternativ“ ist, die Alternative gegen den Zeitgeist, der immer schneller, lauter und greller ist.

Und ganz praktisch gesprochen kann ich nur die Worte wiedergeben, die auf lichtgriff.de zu finden sind: „Außerhalb der Technik, haben die beiden aber sehr viel gemeinsam. Sie sind Kreativwerkzeuge und animieren zum Experimentieren, Sehen und Gestalten. Sie sind klein und handlich und finden in jeder Tasche platz. Man nimmt sie gerne mit und bereut niemals, sie mitgenommen zu haben. Besser kann es eine Kamera nicht machen. Was nützt die schwere digitale Vollformatausrüstung, wenn man sie nicht immer mitnehmen möchte oder mitnehmen kann. Manche Motive verschließen sich auch, wenn man mit großer Technik anrückt. Nicht so bei der GIII und G5x. Klein und unauffällig. Flüsterleise (besonders die G5x, deren elektronischer Zentralverschluß kaum zu hören ist) und reaktionsschnell.“

„Der Mini-Profi“ – so bezeichnete der Focus die Kamera 2016. Ich finde dies sehr passend.

Ich danke Ihnen sehr, daß sie auf diese „alte“ Art und Weise diesen Artikel zu Ende gelesen haben.

Michel Onfray hat in seiner Camus-Biografie geschrieben „Lesen heißt Askese. Die Konzentration auf den Text löscht die umgebende Welt aus.“

Und so entstand beim Lesen dieses Textes hoffentlich ihre eigene Welt als Wille und Vorstellung in ihrem Kopf.

Das geht aber nur, weil es ein Text und kein Video war und so soll es hier auch bleiben.

Übrigens, falls Sie die Geschichte der Pfingstrose auf dem Foto interessiert, dann empfehle ich den Artikel auf lenstrip.de.

Bis zum nächsten Mal!

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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