Dissonanzen im Motiv

„Viele Autoren rühmten die harmonischen, bildhaften Kompositionen der Momentaufnahmen von Cartier-Bresson. Es sind jedoch die Dissonanzen, die sein Werk zu etwas Besonderem machen. So fotografierte der Franzose die Skyline von Manhattan mit halb verfallenen Docks im Vordergrund oder in einer New Yorker Häuserspalte einen Mann, der wie gebannt einer Katze gegenübersitzt.“

Dies schrieb Carmela Thiele über Henri Cartier-Bresson.

Er komponierte nach der visuellen Grammatik seine Fotos aber suchte offenbar dafür Motive, die dissonante Komponenten im Rahmen zusammenfügten.

Er hat sogar einen Bruder im Geiste so wie Yin und Yang – Martin Parr.

Und so wie Cartier-Bresson und Martin Parr glaubten, in zwei verschiedenen Welten zu sein, genau so fotografierten und fotografieren beide auf ihre jeweils eigene Art diese Dissonanzen.

Cartier-Bresson zeigt Dissonanzen auf monochrome Art und nutzt dabei die Geometrie als Gestaltungsmittel.

Martin Parr geht noch einen Schritt weiter.

Er macht in Farbe, weil die moderne Konsumgesellschaft in Farbe ist und er nutzt die Mittel der plakativen Propaganda der Konsumgesellschaft, um uns die Konsumgesellschaft zu zeigen.

Und auch er hat eine Geometrie, die zentrierte und plakative Orientierung, die sofort zeigt, was sie meint.

Wer heute so auf seine Umwelt blickt, der kann unendlich viele neue Dissonanzen auf seinen Fotos festhalten.

Das sind aber alles keine Fotos, die sich verkaufen sondern Fotos, die etwas zum Ausdruck bringen wollen. Es ist soziale Realität oder etwas daraus fotografisch neu Gestaltetes.

Ich habe dazu einige Beispiele als sog. Dokufiktionen aufgenommen und gezeigt. Eine Dokufiktion erstellt aus widersprüchlichen Elementen eine neue Aussage.

Es ist eine gestaltete Fotografie, die vorher in meinem Kopf entstanden ist und gerade durch die dokumentierende Funktion etwas völlig Neues zeigen will.

Es geht darum beim Aufnehmen der Realität im Rahmen des Fotos eine neue Bildrealität zu erzeugen.

Diese Fotos beruhen auf dem Gedanken Dissonanzen einzufangen, sind also inspiriert von Parr und Cartier-Bresson – aber insgesamt noch anders.

Und so entsteht Neues bei mir und bei anderen.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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