Früher oder der unvermeidliche Wandel

„Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren.“

Das war mein Weg zur Dokumentarfotografie. Aber irgendwann in den letzten Jahren war ich so wie früher nicht mehr dabei und dokumentierte nicht mehr, sondern reflektierte eher über das, was ich schon gesehen und aufgenommen hatte.

Daraus ergaben sich neue Motive unter neuen Bedingungen. Die Handys wurden immer mehr und die sozialdokumentarischen Elemente immer weniger.

Wir leben ja heute wieder in einer Zeit zwischen bisherigen und  neuen visuellen Sichtweisen. Ich möchte dies exemplarisch für Dokufotos in drei Bereichen zeigen.

Erstens

Einerseits gibt es noch Versuche wie die von Rolf Nobel mit seinen Arbeiter des Meeres, mit denen er ihnen ein Denkmal setzen will, wie es so schön heisst. Manche Motive sind zeitlos und waren früher schon zu sehen. Dies bestätigt dann eher, daß im Meer der Fotografie manche Denkmäler öfter überschwemmt werden, also medial verschwinden, sozial wirkungslos sind und kein Interesse mehr finden.

Ich  habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Alles was ich hier dokumentiert habe, ist medial nicht mehr aktuell und nur noch rein historisch-dokumentarisch fotografisch interessant, weil es keine soziale Relevanz mehr hat. Es müßte alles unter den neuen Bedingungen neu dokumentiert werden für die aktuelle Zeit. Ob es dadurch wieder relevant wird oder sogar verkaufsfähig…

Zweitens

Dann gibt es medial und sozial relevante Themen wie Migration, das schon Salgado immer wieder thematisiert hat, und die auch heute noch verkaufsfähig sind. Ein Beispiel dafür ist Alejandro Cegarra mit seiner Serie „The Two Walls.“ 

Aber die Fotos tun nicht weh, finde ich. Sie wirken auch nicht so intensiv auf mich wie die von Salgado. Insofern hat sich da auch manches geändert – zumindest aus meiner Sicht.

Drittens

Und dann kommt ja noch das Thema Streetphotography. Für mich müssen die Situationen mich „beissen“ und daraus auf die Schnelle Schnappschüsse entstehen.

Die sehe ich kaum, wenn ich als aktuelles Beispiel auf die Gewinner von The Pure Street Photography Awards 2025 celebrate candid moments around the world – auf Deutsch: Der reine Strassenfotografie Wettbewerb 2025 feiert spontane Momente auf der ganzen Welt

Nach diesen Gedanken nun ein kurzes Fazit.

Früher hätte ich noch gefragt, wer das fotografiert und was und wo die Juroren herkommen, also die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie betrachtet.

Aber was für mich fotografisch zählt, hat kaum sozial-mediale Resonanz und schon gar keine Wirkmacht.

Ich lebe ja mit dem dokumentarischen Impuls.

Mein größter Irrtum war der Glaube an die Kraft der Aufklärung und Vernunft in der Masse für politische und persönliche Entscheidungen – die weg von der Gefühlsduselei zu mehr Einsicht in Notwendigkeiten führen: Si vis pacem para bellum aber auch die Beschränkung von Macht durch Gegenmacht.

Stattdessen habe ich lernen müssen, dass viele lieber Aufseher der Sklaven sein wollen als die Sklaverei abzuschaffen und hinter der Maske Mensch oft die Seele eines wilden Tieres steckt.

So bin ich gescheitert.

Diese entbehrungsreiche, engagierte und entdeckungsvolle Zeit ist nun ein Teil von mir.

Dies alles  zu sehen, zu verstehen und zu verarbeiten verdanke ich dann Arthur Schopenhauer.

Mit diesen Erkennnissen umzugehen war der nächste Schritt.

So geht Schicksal…

Nun war die Zeit reif, um dies alles in Worte zu fassen.

So entstand dieser Text.

Das war bei mir immer so.

Wenn die Worte dann raus sind, entfachen sie ein Eigenleben.

Aus der zeitlichen Distanz wirken sie dann auf mich.

Aber wie weiß ich noch nicht.

Das wird man sehen.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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