„Wir“ sind dabei – Digitalkameras als Ausdruck von sozialen Klassen und Klassenbewußtsein – eine Skizze einer Skizze …

Armut und Reichtum - Foto: Michael Mahlke
Nach dem Gang zum Jobcenter – Foto: Michael Mahlke

Dieser Artikel schreibt über eine vergangene Zeit und die neue Gegenwart. Es ist ein Versuch  von der Vergangenheit zur Gegenwart zu kommen mit meinem deutschen Blick.

 

Das Wir-Gefühl als Lebenszusammenhang

Früher gehörte man zu einer Klasse, wenn man ein Wir-Gefühl hatte.

Das „Wir“, der „proletarische Lebenszusammenhang“ (R. Stumberger), zeigte sich in der gemeinsamen Wohnwelt, Arbeitswelt und Sozialwelt.

Wenn man diese gemeinsamen Erfahrungen nicht mehr macht und teilt und sich auch keiner Klasse zugehörig fühlt, dann ist das soziale Bewusstsein weg und die Suche nach anderen Zugehörigkeitsobjekten und Identifikationsmöglichkeiten beginnt.

Dabei darf man aber nicht die Arbeiterklasse mit Randgruppen verwechseln. Das Fotografieren von Randgruppen und die Arbeiterfotografie sind völlig verschiedene Dinge und die politische Dimension der Arbeiterfotografie war medial in der Weimarer Republik und in Deutschland in den 70er Jahren eine starke Kraft, die das Medium Fotografie zur Selbstreflexion und als Mittel im sozialen Kampf einsetzte – aber meistens durch fotografische Einzelkämpfer und nicht durch Institutionen.

Man kann natürlich auch sagen, dass heute jeder in sozialen Netzwerken sich fotografisch selbst darstellen kann und daher eine Zugehörigkeit kraft Klasse nicht mehr erforderlich sei. Allerdings sind die sozialen Bedingungen nicht weg, die die Arbeiterklasse hervorgebracht haben. Soziale Atomisierung blockiert aber und „soziale“ Netzwerke verbinden nicht.

Selbst der Hunger bei uns ist aktuell nicht mehr besiegt und schlechte Arbeit und vieles mehr sind immer noch da.

Nur ist die Arbeiterklasse an sich ja auch in der Demokratie mit dem wachsenden Wohlstand zerflossen, weil sie letztlich über die materiellen Erfolgselemente nicht hinauskam.

Nun denke ich für mich einfach mal weiter.

 

Fotografie als Gesellschaftstheorie

Wenn wir die Fotografie als umfassende Gesellschaftstheorie ansehen, dann sind ihre neuen Betriebsmittel Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und die in den Massenmedien produzierten Bilder Ausdruck der Machtverhältnisse.

Zugleich sind sie Manipulationsmittel, also Propaganda oder PR. Sie bringen die Wirklichkeit so in die Köpfe, wie wir sie sehen sollen und wir können uns kaum entziehen.

Oftmals können wir uns nur mit dem eigenen Verstand von den Bildern kognitiv entfernen.

 

Armut 2.0

Die soziale Frage ist wieder da, die Armut 2.0 wurde eingeführt und die sozialen Klassen sind wieder spürbar und die Kluft zwischen arm und reich wird riesig, zumindest in Deutschland, wo es vorher nicht so war weil die Armut nicht so erdrückend war.

Aber in den veröffentlichten Bildern sieht man es nicht.

Armut als fotografisches Thema fehlt je näher wir Deutschland kommen, soziale Kämpfe kommen höchstens als 10 Sekunden Nachricht vor und als Aufforderung zur Veränderung eher gar nicht und die wirklich Reichen (also nicht Geissen sondern Bertelsmann etc.)  bestimmen über Umfragen und deren Verbreitung über die Meinung in den Köpfen.

Die neuen Erfahrungen mit der Armut sehen so aus:

Neue Klassen sind im Prinzip die alten Klassen. Die einen verfügen über die Produktionsmittel und die politische Einflußnahme, die anderen nicht.

Ob man Marx mag oder nicht, die Kategorien sind sehr hilfreich, wenn man die Wirklichkeit erfassen will und sie zeigen, daß es nach Marx noch mehr kluge Menschen gab.

 

Vom Wir zu Hartz4

Frau Allmendinger schrieb dazu:

„Das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz IV) hat die Arbeitslosenhilfe abgeschafft, also Bezüge, die sich proportional am letzten Gehalt orientieren. Eingeführt wurde stattdessen das Arbeitslosengeld II, ein Pauschalbetrag, der spätestens nach zwei Jahren für alle erwerbsfähigen hilfsbedürftigen Arbeitslosen gleich ist. Die deutsche Kultur der Statussicherung wurde bei diesem Personenkreis gebrochen. Damit werden nach zwölf Monaten der Arbeitslosigkeit alle formal gleich behandelt, ihre individuellen Biografien werden rechtlich irrelevant. Der Arbeitslose wird als Mitglied eines Kollektivs behandelt – fragt sich nur, ob darin wirklich ein Anstoß zur Solidarisierung liegt.“

 

Hartz4 ist nicht Wir

Dieses „Wir“-Gefühl will niemand, weil es ausgrenzt, weil es sich nicht um eine selbst gestaltete Welt handelt mit eigenen Anschauungen, sondern um Freigang aus schlechter Arbeit, der jederzeit vom Jobcenter beendet werden kann mit Maßnahmen die eigentlich nur Gerichte verhängen dürfen, weil sie dem Menschen das gesamte Existenzminimum entziehen können. Dies ist Gewaltanwendung und grundgesetzwidrig.

Allerdings organisieren sich aktuell die Menschen auch kaum dagegen, sie legen nicht einmal auf einfachste Weise Widerpruch gegen die grundgesetzwidrigen Maßnahmen ein.

Da Hartz 4 junge Familien und Frauen mit Kindern privilegiert und ältere Menschen, die fleißig waren, besonder stark diskriminiert, ist die Spaltung so einfach auch nicht zu überwinden.

 

Fotoapparate und ihre sozialen Gebrauchsweisen

Umgemünzt auf die Fotografie als Gesellschaftstheorie beginnt dies ganz banal.

Es gibt heute Kameras für jeden, selbst für die Ärmsten der Armen, weil sogar das billigste Handy eine Kamera hat. Aber danach wird es dann anders.

Die Zuordnung von Kameras zu sozialem Status, der sich durch Abgrenzung und Zugehörigkeit ausdrückt, wird dann schon wichtiger.

  • Wer ein Smartphone für 1000 Euro hat, der hat etwas, das sich nicht durch technische Überlegenheit ausdrückt sondern eher durch die Symbolik des Habens. Denn die Fotos fürs Web sind überall gleich.
  • Interessant wird es erst, wenn man damit dorthin darf und das zeigen darf durch Fotos, was andere nicht sehen oder wo andere nicht sein dürfen. Daher ist auch Prominenz so wichtig und daher sind auch Veranstaltungen mit VIP-Charakter so wichtig. Dort haben dann alle solche oder ähnliche technische Spielzeuge so wie die Autos davor.
  • Wer eine Edelmarke oder Kameras für viele tausend Euro hat, der will damit etwas anderes als nur fotografieren. Es geht um soziale Abgrenzung, manchmal auch um die Chance, dadurch Zugang zu erhalten und es geht um die soziale Anerkennung, Status und vieles mehr. Es ist nicht immer negativ aber immer Ausdruck sozialer Aussagen.
  • Während es noch Foren gibt, die alle Kameramarken parallel diskutieren, gibt es andere Foren, bei denen man nur beim Besitz einer entsprechenden Kamera mitmachen kann und in den Exif bei Fotowettbewerben der Nachweis erbracht werden muß, ob man die Kamera besitzt, die dazu berechtigt.
  • Ereignisse, Ausstellungen und Einladungen gibt es nur, wenn man bestimmte Kameras gekauft hat.

Da alle Kameras nur digitale Fotos machen, ist der technische Aspekt heute nicht mehr so stark als Unterscheidungsmerkmal.

Soziale Unterscheidungsmerkmale und das Gefühl dazuzugehören sind wesentlicher.

Im Ergebnis ist alles so wie früher, nur die Technik ist weiter und wird durch die Massenproduktion dort billiger, wo politisch und wirtschaftich eine möglichst weite Verbreitung hilft, den Umsatz damit zu steigern.

 

Social media bedeutet soziale Kontrolle

Die Menschen dürfen die neue Technik nutzen aber in den social media nur unter absoluter Kontrolle!

Die Beschäftigung mit den sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie ist also keine Flucht aus der Wirklichkeit sondern die Beobachtung der Anwendung von sozialen Verhältnissen.

 

Die Anwendung der Fotografie spiegelt soziale Verhältnisse in ihren Gebrauchsweisen wieder

Und vieles wird einfach weggelassen in den öffentlichen Medien, weil es nicht in die Weltbilder der Mächtigen paßt.

So, dies ist der Versuch einer ersten Skizze, um die Fotografie als Gesellschaftstheorie zu verstehen.

Das ist in diesem Artikel von mir erstmals bewußt ausprobiert worden.

Ob ich damit weitermache, weiß ich nicht.

Ich lasse das einfach erst mal so stehen.

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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