Gibt es eine globale visuelle Kultur?

Wirklichkeit ist nichts für Adobe

„Die Mitglieder von Kollektiven wie Activestills hingegen verstehen sich dezidiert als langfristige Agenten des politischen Wandels in einer globalen visuellen Kultur.“

Dieser Satz von Evelyn Runge aus ihrem Aufsatz AGENTEN DES GLOBALEN POLITISCHEN WANDELS. Das Kollektiv Activestills fordert Stereotype des Fotojournalismus heraus führte mich gedanklich zu der Eingangsfrage.

Und daraus entstanden diese Gedanken und Notizen zum Thema globale visuelle Kultur.

Zunächst einmal gibt es die Freiheit jedes Einzelnen zu fotografieren, was er/sie will. Dann fangen die sozialen, juristischen und kulturellen Grenzen an, je nachdem wo man gerade ist. Und dann kommt die Frage, ob ich damit Geld verdienen will.

Hier fängt auch die eigentliche Antwort an, weil eine globale visuelle Kultur ja die Massen erreichen muß und dafür braucht es Massenmedien. Massenmedien gehören nie den Armen.

Eine wesentliche Aufgabe der Fotografie bei den sozialen Gebrauchsweisen ist aus Sicht der Eigentümer daher die Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse bzw. das Durchsetzen der eigenen Interessen. Die Leitfragen dabei sind für mich

  • Wer hat Interesse an welcher Darstellung der sozialen Verhältnisse?
  • Wer hat Interesse für wen Partei zu nehmen?
  • Wer finanziert welche Fotografie und welche nicht?

Wenn wir weitergehen und unsere Gesellschaft beschreiben, dann gefällt mir ein Gedanke von Susan Sontag. Sie hat dies auf die Formel gebracht, daß der Wechsel der sozialen Verhältnisse ersetzt wurde durch den Wechsel von Bildern in den herrschenden sozialen Verhältnissen.

Damit sind wir mitten in den herrschenden Strukturen. Wer herrscht bestimmt und Geld führt.

Wohin führt es uns?

  • Im Bereich der sozialen Netzwerke zu Facebook
  • Im Bereich der Suche und der Personenkontrolle zu Google
  • Im Bereich der verkaufsfähigen Fotos zu Adobe

Natürlich gibt es noch mehr dominierende Konzerne, die sich als Plattformen verstehen wie z.B. Amazon, aber hier sollen die drei Vorgenannten reichen.

  • Bei Facebook dürfen z.B. weder Busen noch Popos gezeigt werden, auch nicht von archäologischen Gegenständen etc. Damit gibt es eine Vorgabe und die bestimmt natürlich global die visuelle Kultur. Bei Instagram als Teil von Facebook wird man wiederum nach hinten gesetzt, wenn man nicht die Vorgaben erfüllt, die dort lauern aber Popos von Promis und anderen läßt man zu, denn Sex sells.
  • Bei Google ist fast nur in der Suche relevant zu finden, was sich mit Werbung verknüpfen läßt. Diese Ausgrenzung funktioniert wie bei Facebook nur mit einem anderen Selektionskriterium. Zudem bestimmt google was gefunden wird und was weggelassen wird, auch in der Politik.
  • Bei Adobe wird nur zugelassen, was aus Sicht von Adobe verkaufsfähig ist. Daher ist alles andere nicht in der global kaufbaren visuellen Kultur vorhanden.

Diese drei Konzerne beherrschen einen erheblichen Teil der globalen visuellen Kultur. Adobe macht Vorgaben auf freundliche Art durch die sog. visual trends, google macht Vorgaben durch den Aufbau von Webseiten und SEO, damit man dort in die Suchergebnisse reingelassen wird und Facebook macht Vorgaben in vielfältiger Art. Wenn man Instagram als Verlängerung davon sieht, dann ist dort die globale visuelle Kultur schon umgesetzt, wie einige mal am Beispiel von Reisefotografie und Motiven gezeigt haben.

Laut Runge nutzen die Mitglieder von activestills „zur weiteren Verbreitung … die Fotoplattform Flickr (seit 2006), das soziale Netzwerk Facebook, den Mikroblogging-Dienst Twitter (beide seit 2010) sowie feste Kooperationspartner wie das im Jahr 2009 gegründete englischsprachige Blog +972“. Es gibt ja auch nichts wirklich anderes, die Dominanz ist total und die Konzerne bestimmen über die Verbreitung.

(Da die Konzerne weltweit tätig sind und sich an die Vorgaben der Staaten in Demokratien und in Diktaturen halten, ist dieser Fortschritt in der visuellen globalen Kultur kein Beitrag für Menschenrechte und Grundrechte sondern mittelfristig eine Bedrohung, weil die Zusammenarbeit mit Kontrollkonzernen wie z.B. alibaba digitale Kontrollmechanismen einer Diktatur auch in Europa einführen wird durch die Hintertür.. Aber wen interessiert es, zumal alle diese Konzerne nicht mal in Europa greifbar wären.)

„Zu den öffentlichen Aktionen des Kollektivs zählt auch die Übergabe der Foto-Ausdrucke an Demonstranten, die mit diesen wiederum fotografiert werden“, schreibt Runge. Das ist dann schon mehr als Anti-Fotografie.

Damit ist und bleibt die Fotografie die Waffe im Kampf um Wirklichkeit und Wahrheit. Das praktizieren die Konzerne mit ihrer Zensur ja auch – nur andersrum. Ich frage mich, kann ich das einzelne Foto gedanklich in dieser Form so gegen die weltweit tätigen Konzerne setzen? An der Antwort feile ich noch.

So nähere ich mich dem Fotojournalismus, der je nach Interesse benutzt wird, um etwas zu zeigen, nicht zu zeigen oder anders zu zeigen. Dazu empfehle ich auf die Schnelle die Seite Frontlens.de.

Bis hierhin kann ich feststellen, es gibt so etwas wie eine globale visuelle Kultur. Es ist eine visuelle Welt, die aus Sicht der Herrschenden in den Massenmedien jeweils zeigt, was gerade wichtig ist. Denn sie kontrollieren die Massenmedien, direkt und indirekt (wie in Deutschland der Presseausweis dokumentiert).

Frau Runge zählt aus Sicht der Beherrschten eine Handvoll anderes zeigender Kollektive weltweit auf.

Als kollektive Aktivisten mit den Waffen der Fotografie sind sie anders als z.B. Magnum, das bekannteste fotografische Kollektiv weltweit. Aber sind sie wirklich anders?

In Deutschland ist mir als Kollektiv in ähnlicher Form nur r-mediabase bekannt. Sie bezeichnen sich als Forum für mediale Gegenöffentlichkeit – Verband für kritischen Bildjournalismus.

Sie erläutern ihren Ansatz folgendermaßen: „Der herrschenden Bilderindustrie und dem Bildermainstream wollen wir den Alleinanspruch streitig machen. Beliebigkeitsfotografie, Freizeitfotografie und die Fotografie der Werbung sind ein gigantischer Selbstbetrug an Gegenwart und Realität, der die wirklichen Lebensgeschichten der Menschen ignoriert und ihre Biografien auslöscht. Deshalb wollen wir ein Unbehagen gegen die moderne Bilderwelt entwickeln.“

Verkaufen kann man diese Fotos kaum obwohl sie das zeigen, was ist. Aber Menschen neigen eher dazu das sehen zu wollen, was sie aus ihrer grauen Realität holt. Die visuellen Versprechen von Harmonie, Ruhe, weißem Sand, Jungfrauen im Himmel und vieles mehr sind oft die Dinge im Kopf, die das Handeln bestimmen und meinungsbildend wirken. Ein kleines Beispiel ist der auf kwerfeldein publizierte Artikel von Adobe zum sog. Mulitlokalismus – was für ein Kunstwort!

Dieses Wort suggeriert überall sei alles möglich über alle biologischen, kulturellen und sozialen Grenzen hinweg. Ich will darauf nur eine kurze Antwort geben von Cornelia Koppetsch, die sagt: „Es gibt keine solidarische Weltgemeinschaft.

Wer das hinterfragt kommt bei Adobe nicht rein. Wer die wirkliche Welt zeigt oder beschreibt, wird dann z.B. mit dem Argument abgelehnt bei Adobe, es sei ästhetisch nicht überzeugend. Wer diese globale visuelle Kultur hinterfragt und die Seh- und Denkgewohnheiten mit anderen realen Fotos hinterfragt, praktiziert nicht immer aber eher Anti-Fotojournalismus. So ist die medial-dominierende Welt.

Die reale Fotografie unbequemer Themen ist in der Regel eine Anti-Geld Fotografie, weil damit kaum Geld zu verdienen ist. Nur wenn etwas den Stempel Museumsqualität bekommt, also verkaufsfähig wird als Kunst, wird daraus ein verkaufsfähiges Produkt.

Das scheint aktuell ein Trend zu sein. Die kritische Reportage kommt ins Museum. So schreibt es Freddy Langer über das Kunstfestival Ray 2018 aktuell auf faz.net:

„Über den Status der Fotografie als Kunst, hieß es ebenfalls während der Eröffnung, müsse nicht länger diskutiert werden – als wäre das eine ausgemachte Sache. Dabei zementiert „Ray“ mit dem Großteil der präsentierten Arbeiten die mittlerweile überhandnehmende Rolle der journalistischen Fotografie im Ausstellungsbetrieb der Museen. Als spielte der Nachrichtenkontext eine untergeordnete Rolle, haben die Aufnahmen von Flüchtlingsströmen, Naturkatastrophen oder Kriegsschauplätzen fast unmerklich von der politischen Berichterstattung den Weg ins Feuilleton genommen und von dort direkt in den Kunstbetrieb. Nicht länger in Illustrierten und Magazinen, sondern in aufwendig gestalteten Fotobänden und an der Wand von Galerien hat die Fotoreportage heute ihr Zuhause. Das Publikum wird dadurch immer kleiner, und die Auseinandersetzung mit dem Material kreist häufiger um Ästhetik als um Fakten und Zahlen.“

Wer hätte das gedacht!

Und natürlich gibt es für solche Kollektive keine politisch abgesegneten Presseausweise, weil diese nur von Zeitungsverlegern und politisch anerkannten Verbänden herausgegeben werden, wenn man davon leben kann. So viel zur freien Presse in Deutschland. So gibt es in Deutschland nicht nur Anti-Fotografie sondern auch Anti-Presseausweise für die, die echte Presse jenseits der staatlichen Strukturen publizieren. In anderen Ländern ist dies übrigens anders geregelt, womit wir bei der Frage wären, wieso es ausgerechnet hier bei uns eine solch engstirnige freiheitsfeindliche Regelung gibt. Die ihn haben schweigen so wie immer und das sollen Journalisten sein, die vierte Gewalt?

Und so ist die Beschreibung der globalen visuellen Kultur auch ein Kampf um die Deutungshoheit und erzählt wie eine Meinung im Kopf entsteht und wie Machtverhältnisse funktionieren. Dafür braucht es täglich neue Fotos.Und wenn wir uns fragen, was wir gerade in den Medien sehen und nicht sehen sind wir sofort im Thema zwischen Erkenntnis und Interesse.

Aber es gehört auch zur Wahrheit, daß dieses Thema zwar wesentlich ist aber nur wenige bewegt. Die meisten freuen sich einfach, wenn sie mit ihrer Kamera im Fotoschwarm dabei sind und darin schwärmen können. Sie hinterfragen nicht vorgegebene Meßlatten und Richtungen sondern fragen sich wie sie diese erreichen können.

Insofern sind Gedanken wie diese hier das Salz in der Suppe.

Guten Appetit!

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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