Sozialkritik wird im Museum gefeiert

Zur Wahrheit gehört immer noch die Wirklichkeit. Und so gibt es aktuell eine sicherlich sehr interessante Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg „True Pictures? LaToya Ruby Frazier“

Der Infotext lautet: „Soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus, Arbeitsmigration, Umweltverschmutzung, wirtschaftlicher Niedergang einst prosperierender Industriestädte – dies sind einige der thematischen Schwerpunkte in der künstlerischen Arbeit der US-amerikanischen Künstlerin LaToya Ruby Frazier. Sie gehört derzeit zu den wichtigsten jüngeren Fotografie-Positionen Nordamerikas. Frazier ergreift in und mit ihrem Werk Partei für die überwiegend unterprivilegierte Arbeiter*innenklasse der USA, die u. a. durch Arbeitslosigkeit, Trinkwasserverseuchung oder den Abbau von städtischen Infrastrukturen gezwungen ist, in teils prekären Verhältnissen zu leben. Im Sinne des Filmregisseurs und Fotografen Gordon Parks setzt LaToya Ruby Frazier ihre Kamera immer mehr als Waffe gegen Ungerechtigkeit, Rassismus, Intoleranz und Armut ein. Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert mit True Pictures? LaToya Ruby Frazier die erste deutsche Einzelausstellung der engagierten und vielfach ausgezeichneten Künstlerin.“

Das finde ich alles unstrittig gut.

Aber jetzt kommen wir mal zu den sozialen Gebrauchsweisen.

Wenn man auf die Broschüren blickt, dann wird deutlich, daß das Zeigen von sozialkritischen Fotos medial symbolische Politik ist, die reale Politik ersetzt.

Die Fotografie wird gebraucht, um Ersatz für Einsatz zu sein.

Natürlich ist es gut, wenn diese Fotografin bzw. Künstlerin gezeigt wird.

Aber wieso wird das nicht da gezeigt, wo die sind, die als Motive vorkommen?

Das ist natürlich nicht die „Schuld“ des Museums. Ganz im Gegenteil.

Sie liefern mir ja den Stoff, aus dem dieser Artikel ist.

Aber im Museum wird aus sozialkritischen Fotos Kunst statt Aktion.

Museen werden so zum Besuchsraum für die, die dorthin können.

Welche Relevanz hat das für die Realität?

Ich erinnere mich noch daran als ich um 2012 das Thema Erhöhung des Renteneintrittsalters und die dummen Sprüche auf Plakaten mit Millionenbudget dokumentiert habe. Solche Themen tauchen nirgendwo auf. Aber Fotos aus Amerika…

Wahrscheinlich geht es vorrangig um Museumsqualität.

Und immer nur Tillmans-Tapetenräume ist einfach zu wenig.

Die reale Fotografie unbequemer Themen ist ja in der Regel eine Anti-Geld Fotografie, weil damit kaum Geld zu verdienen ist.

Nur wenn etwas den Stempel Museumsqualität bekommt, also verkaufsfähig wird als Kunst, wird daraus ein verkaufsfähiges Produkt.

Das scheint seit ein paar Jahren ein Trend zu sein. Die kritische Reportage kommt ins Museum. So schreibt es Freddy Langer über das Kunstfestival Ray 2018 auf faz.net:

“Über den Status der Fotografie als Kunst, hieß es ebenfalls während der Eröffnung, müsse nicht länger diskutiert werden – als wäre das eine ausgemachte Sache. Dabei zementiert „Ray“ mit dem Großteil der präsentierten Arbeiten die mittlerweile überhandnehmende Rolle der journalistischen Fotografie im Ausstellungsbetrieb der Museen. Als spielte der Nachrichtenkontext eine untergeordnete Rolle, haben die Aufnahmen von Flüchtlingsströmen, Naturkatastrophen oder Kriegsschauplätzen fast unmerklich von der politischen Berichterstattung den Weg ins Feuilleton genommen und von dort direkt in den Kunstbetrieb. Nicht länger in Illustrierten und Magazinen, sondern in aufwendig gestalteten Fotobänden und an der Wand von Galerien hat die Fotoreportage heute ihr Zuhause. Das Publikum wird dadurch immer kleiner, und die Auseinandersetzung mit dem Material kreist häufiger um Ästhetik als um Fakten und Zahlen.”

Wer hätte das gedacht!

Wenn es so ist, dann ist es so.

Wir erleben ja seit einigen Jahren, daß über die wirklichen Probleme weder medial stark gesprochen noch sie real gelöst werden.

Da werden z.B. seit mehr als zehn Jahren Agenda2010 Millionen Menschen um einen Teil ihrer Rente betrogen oder um ihre Ersparnisse und dann verarmt in die Altersarmut geschickt, die ja auch jenseits von Hartz4 noch existiert mit 1100 Euro netto im Alter.

Aber es wird nichts getan, um das Verarmungssystem zu ändern und es wird schon gar nichts getan, um die Renten zu erhöhen und ihre Situation im Alter zu verbessern. Und wenn die Rente mal erhöht wird, dann wird darauf Steuer und Sozialversicherung fällig, so daß das Geld wieder weg ist.

Dafür gibt der Staat an anderer Stelle an die alles ab, die nie hier gearbeitet haben und bestraft sogar die Kinderlosen, die hier arbeiten, obwohl die mehr bezahlen und weniger rausbekommen als alle anderen.

Das könnte man jetzt noch vertiefen.

Denn genau dies gehört zu dem, was nicht thematisiert wird und mit echten Fotos in und außerhalb von Museen dauerhaft politisch gezeigt werden könnte, um es zu beseitigen.

Aber da die Mächtigen über das Geld bestimmen, bestimmen sie auch über die Motive auf den Fotos…

So führt eine Analyse der Gebrauchsweisen von sozialkritischer Fotografie in deutschen Museen heute dazu, einen neuen Trend feststellen zu können, der zu Fotos als Kunst führt.

Positiv gedeutet könnte man auch sagen, wenn im aktuellen Zeitgeist sozialkritische Fotografie zu Fotokunst werden kann, dann werden vielleicht auch wieder mehr sozialkritische Fotos gemacht.

Das wiederum wäre ein ermutigendes Zeichen.

Aber wer wird sie zeigen?

Vielleicht ein Museum in den USA mit folgenden Sätzen:

Soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus, Arbeitsmigration, Umweltverschmutzung, wirtschaftlicher Niedergang einst prosperierender Industriestädte – dies sind einige der thematischen Schwerpunkte in der künstlerischen Arbeit des deutschen Fotografen „Hans Treffer“. Er gehört derzeit zu den wichtigsten jüngeren Fotografie-Positionen Europas. Treffer ergreift in seinem Werk Partei für die überwiegend unterprivilegierte prekäre Schicht von Fahrern, Sortierern, Verkaufspersonal und Millionen von Rentnerinnen und Rentner, die u. a. durch niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen oder den Abbau von städtischen Infrastrukturen gezwungen sind, in teils sehr prekären Verhältnissen zu leben…

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

2 thoughts on “Sozialkritik wird im Museum gefeiert

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