Die Befragung des Sichtbaren

„Einige Fotografen glauben, dass sie mit dem Fotografieren menschlichen Elends ein ernstes Problem angehen. Ich glaube nicht, dass das Elend wichtiger ist als das Glück.“

“Some photographers think that by taking pictures of human misery, they are addressing a serious problem. I do not think that misery is more profound than happiness.”

Saul Leiter

Ein Wechsel steht bevor.

„In vielen Schriften von Barthes besitzt Benjamin eine ständig aufflackernde Präsenz. Die Anthologie aus Zitaten, mit der Sontag Über Fotografie beschließt, ist – mit direktem Verweis auf von ihr bewunderte Größen, was sie als ihr Vorrecht ansah – »W.B.« gewidmet. Und am Ende des ersten Teils von Sehen – Das Bild der Welt in der Bilderwelt gibt Berger zu, dass »viele der Ideen und Gedanken« auf einen Essay von Benjamin mit dem Titel »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« zurückgehen. (Wobei man nicht vergessen darf, dass das im Jahr 1972 geschah, lange bevor Benjamins Essay zu einem der am meisten mechanisch reproduzierten und zitierten Aufsätze wurde, die je geschrieben wurden.)
Für alle vier war die Fotografie ein Spezialfeld, aber sie waren keine Spezialisten. Sie näherten sich der Fotografie nicht mit der Autorität von Kunstgeschichtlern oder Kuratoren, sondern als Schriftsteller und Essayisten. Ihre Beiträge sind weniger ein Ergebnis angehäuften Wissens, sondern lebendige Schilderungen des Prozesses, wie sich ihre Kenntnisse und ihr Verstehen entwickelten.“

So schreibt Geoff Dyer im Vorwort des Buches Der Augenblick der Fotografie von John Berger.

Um mich dem Zitierten anzuschließen: meine Beiträge hier sind lebendige Schilderungen des Prozesses, wie sich meine Kenntnisse und mein Verstehen entwickeln.

Und so ändert sich auch immer mal wieder die Richtung.

Das Sichtbare bleibt mein Thema aber was ich davon einfange, verändert sich schwerpunktmäßig.

Dabei geht es auch hier sowohl um das soziale Sein als auch um die gelebte Zeit.

Entsteht Glück durch social media oder soziale Resonanz? Bist du, was andere dir sagen?

Als Leser von Schopenhauer habe ich meinen eigenen Blick darauf.

„Er beendet diese Lebensphase mit dem Bewußtsein, seine eigentliche Lebensaufgabe erfüllt zu haben. Danach tritt er vor das Publikum und muß zu seinem Entsetzen feststellen, daß keiner gekommen ist. Ohne einen Auftritt gehabt zu haben, tritt er ab. .. Er gerät nicht in die Gefahr funkelnde Selbstinszenierung und Wahrheit miteinander zu verwechseln… Die eine Maske genügt ihm: philosophischer Zaungast zu sein bei dem manchmal grausamen Karneval des Lebens.“

Das schrieb Rüdiger Safranski über Schopenhauer.

Saul Leiter ging es ebenso auf seine Art: „Ich habe einen Großteil meines Lebens damit verbracht, ignoriert zu werden. Ich war so immer sehr glücklich. Ignoriert zu werden ist ein großes Privileg. Ich glaube, dadurch habe ich gelernt, zu sehen, was andere nicht sehen, und auf Situationen anders zu reagieren. Ich habe einfach auf die Welt geschaut und war auf nichts wirklich vorbereitet.“

In einem Interview für eine 2008 in Deutschland veröffentlichte Monographie brachte er dies auf den Punkt: „Um Karriere zu machen und erfolgreich zu sein, muss man zielstrebig sein. Man muss ehrgeizig sein. Ich trinke viel lieber Kaffee, höre Musik und male, wenn mir danach ist.“

Es ist die Einsicht in die eigene vorgefundene Wirklichkeit, die dann hilft, das nicht Änderbare zu akzeptieren und aus Zitronen Limonade zu machen statt an dieser Stelle hängen zu bleiben und immer nur den bitteren Geschmack zu spüren.

Und so fand ich den Schlüssel für die nächste Tür…

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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