Fotografie zwischen Erinnern und Vergessen und Wahrheit und Wirklichkeit

John Berger sagte über die Fotografie: »Die Kamera entlastet uns davon, uns zu erinnern. Sie beobachtet uns wie Gott, und sie beobachtet für uns. Doch kein anderer Gott ist so zynisch, denn die Kamera zeichnet auf, um zu vergessen.«

Wenn ich diesen Gedanken fortsetze, dann bedeuten mehr Fotos weniger erinnern. Und wenn dann Fotos noch die Alltagskommunikation dominieren führt dies fast zur Erinnerungslosigkeit.

Ich persönlich merke um mich herum wie das Erinnern durch Googeln ersetzt wird.

Zugleich ermöglichen digitale Fotogalerien mehr Rückblicke auf Ereignisse als dies reine Tagebuchaufzeichnungen könnten.

Umgekehrt sind Tagebuchaufzeichnungen nicht ersetzbar, weil das Zusammenspiel von eigenen Gedanken, Begegnungen, Gerüchen, Wahrnehmung usw. auch durch das beste Foto oder Video nicht aufgezeichnet werden können.

Insofern bietet die neue Zeit mehr ohne das Bisherige ersetzen zu können.

Die Kamera zeichnet auf, um zu vergessen, schreibt John Berger.

Umgekehrt will man sich ja bei der Betrachtung seiner Fotos erinnern und sucht etwas.

So ist ein Foto immer ein Blick in die Vergangenheit.

Beim Betrachten eines Foto ist die Vergangenheit dann in der Gegenwart präsent.

Aber es geht ja noch weiter.

Was sehe ich denn da?

Wie wirklich und wahr ist dies alles?

Karen Fromm hat dies vor einiger Zeit sehr gut zusammengefasst:

„Die Begriffe von Wahrheit und Wirklichkeit, die der Produktion und Konsumption des Dokumentarischen zugrunde liegen, sind damit keineswegs als neutral und überzeitlich, sondern als Teil gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu lesen, die diese verhandeln und definieren. Wie jede Form der Wissensproduktion ist auch die Herstellung dokumentarischer Wahrheits- und Wirklichkeitseffekte an Machtverhältnisse, sogenannte Wahrheitsregimes gekoppelt. Dokumentarische Praktiken lassen sich damit weniger als Wahrheit denn als Politik der Wahrheit begreifen, die Foucault als ein Set von Regeln versteht, die Wahrheit verhandeln und definieren.“

Das war 2014 und ist 2024 noch genauso aktuell.

Ich denke, man kann diese Fragen nicht auflösen sondern nur ansprechen. Und das habe ich mit diesem Text getan.

 

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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