Wenn der Rückblick dich erschlägt

Als ich die Fotos aus der Serie „Die Kündigungen“ von Christina Glanz sah, kam alles wieder hoch.

Obwohl es zeitlich nicht genau passt, erinnerte ich mich sofort an die Zeit, als die Menschen in Frankfurt/Oder „freigestellt“ wurden (1989/1990) und zu mir in die „Lehrgänge“ kamen – direkt in die Ex-Parteihochschule der SED mit den Wandzeitungen von Breschnew und Honecker noch an den Wänden. Und dann erinnerte ich mich an die Zeit im Westen (1992/1993).

Im „Westen“ ging es mit der Vernichtung guter Arbeitsplätze damals ja weiter durch die EU-Erweiterung und Subventionen für die Verlagerung der Betriebe nach Osten ohne soziales Auffangbecken.

Da standen z.B. bei der Firma Klingelnberg in Remscheid auf einer Betriebsversammlung am 1. September 1992 die Facharbeiter auf und fragten, wieso das Unternehmen geschlossen werden müsse und der Firmenchef sagte, es täte ihm leid, aber die Subventionen im Osten müsse er annehmen und verlagern, weil er sonst nicht mehr konkurrenzfähig wäre.

So wurden in West und Ost Arbeitsplätze politisch gewollt abgebaut.

Die fotografische Serie von Christina Glanz hat  mich daher sehr berührt, weil sie viele Erinnerungen und Gefühle weckte.

Dieser Zusammenhang und die Verzweiflung angesichts der eigenen Ohnmacht führten mich damals vom Text zum Bild.

So kam ich zur Dokumentarfotografie.

Hätte ich damals schon mehr fotografiert, dann wären meine leider nie gemachten Fotos bei Klingelnberg sicher eine gute Ergänzung der Aufnahmen von Frau Glanz gewesen. Aber ich schaute da noch als historisch denkender Mensch  auf die Ereignisse und Entwicklungen an sich und ich glaubte, daß die Parteien Menschen wie mich wollten, um gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen. Aber von grün über rot bis schwarz und blau war das Gegenteil der Fall. Das begriff ich aber erst einige Zeit später.

So entstand damals der verzweifelte Gedanke, wenn ich es schon nicht aufhalten kann, dann will ich es wenigstens aufnehmen in meinem Rahmen.

Was hat es gebracht?

Auf jeden Fall keine Gerechtigkeit für die Opfer und die Politik hat dann der Gier noch mehr Vorfahrt eingeräumt und mit Hartz 4 die Fleißigen bestraft und die Faulen belohnt. Heute sind wir durch verfehlte Rechtsprechung, EU Exzesse und Scheinasylanten noch weiter. Faul und fremd hat gewonnen. Aufstieg und Leistung lohnen sich nicht mehr sondern sind das Ergebnis von Verbeamtung.

Damit wende ich meinen Blick wieder meinen Fotos zu. Ich habe ja noch mehr fotografiert.

So schrieb ich vor kurzem:

„Während viele Fotografinnen und Fotografen schon früh ihre Fotos vermarktet haben und dann diese bis heute immer wieder zu sehen sind, habe ich eigentlich immer nur neue Fotos gemacht und darüber geschrieben. Dies sieht man einerseits an meinen Fotos zur Dokumentarfotografie und andererseits an meinen Blogs, in denen nur meine eigenen Fotos zu sehen sind, die immer aus der Zeit stammen in der die Artikel geschrieben wurden. Und dann habe ich nach 25 Jahren mal zurückgeguckt und sortiert.“

Mein Aufwand und die soziale Relevanz sind in meinem Fall eine riesige Diskrepanz, weil es real nicht auf Können sondern Kennen ankommt. Ich kannte nur Kämpfer aber keine, die welche kennen aus den relvanten Kreisen.

Dafür war das eigene Reflektieren und das Beobachten der sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie für mich immer sehr kreativ und produktiv.

Und nun ist der Berg der Vergangenheit so groß geworden, daß ich ihn eigentlich nicht mehr betreten will, wie ich jetzt sehe.

Denn alles von mir Aufgezeichnete ist heute Geschichte.

Die Wirkmacht ist weg und die Wirkung ist damals ausgeblieben.

Dieser Teil meines Lebens ist gelebt und sozial-medial nie relevant geworden.

Nun blicke ich in die Gegenwart.

Damian Zimmermann hat Rob Hornstra interwiewt in der photonews 2/24.

Dort sagt Rob Hornstra: „Was aber auch wichtig ist: Eine Ausstellung wie „Man Next Door“ gibt mir so viel Befriedigung und so viel gutes Feedback und die Besucher waren wirklich ergriffen. Mit den gleichen Bildern in einer der üblichen Kunstinstitutionen geschieht das so nicht.
Aber: Gibt mir das irgendeine Art von Anerkennung in der Kunst-welt? Absolut nicht. Und das macht mich wütend. Du versuchst etwas anders zu machen und du versuchst in die Gesellschaft hineinzuwirken. Das habe ich ja auch mit anderen Projekten wie mit „The Europeans“ gemacht:
Wir haben zum Beispiel in einer Shopping Mall in Den Helder ein leerstehendes Mode-Geschäft gemietet und darin ausgestellt. Der Eintritt war frei und es kamen sehr viele Besucher. Solche Sachen sind mir superwichtig. Aber wie wirkt sich das auf deinen Lebenslauf aus? „Ich hatte eine Ausstellung in einer Einkaufspassage in Den Helder und ich hatte eine Ausstellung in einem leeren Haus in Utrecht.“ Genau so schauen die Leute in der Kunstwelt auf Lebensläufe und das nächste Stipendium kannst du vergessen, denn du hast nicht in einem der etablierten Orte ausgestellt. Das ist jetzt ein sehr starkes Schwarz-Weiß-Sehen, aber an einem bestimmten Punkt habe ich verstanden, dass ich mit meiner Arbeit riskiere, nicht mehr von der ernsthaften Kunstwelt wahrgenommen zu werden. Die versnobte Kunstwelt wird komplett von Institutionen, Menschen und Jurys kontrolliert, die in ihren eigenen, weißen Blasen leben und die Förderungen gewähren.“

Ich bin also nicht allein mit meinen Erfahrungen über Kennen, Können, Geld und Interessen. Seine sind jetzt während meine schon vorbei sind.

Es hat sich nichts geändert.

Und so ist der Blick zurück auch ein Blick nach vorn …

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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