Fototherapie im Krankenhaus
Martin Schuster hat in seinem Buch Fotos sehen, verstehen, gestalten. Eine Psychologie der Fotografie die Idee der Fototherapie aufgegriffen.
Ich habe diese schon seit einigen Jahren zur Visualisierung der eigenen Lebenszeit empfohlen. Damit man lernt bewusster im Alltag zu leben.
Diese Grundidee habe ich nunmehr verändert, um eine schwierige Lebenssituation für alle Beteiligten besser erträglich zu machen. Es geht um Fototherapie im Krankenhaus.
Voraussetzung für diese Therapieform ist in diesem Fall die absolute Vertrautheit und Verpflichtung der Beteiligten, die Fotos der betroffenen Person zu überlassen und nirgendwo sonst zu benutzen, das Einverständnis der Beteiligten und der Wunsch des Patienten, dies ausdrücklich zu wollen und nicht nur zuzulassen Unter diesen Bedingungen geht es darum, die Fototherapie zu benutzen, um mit dem Krankenhausaufenthalt besser umzugehen.
Spielregeln vorher festlegen mit allen Beteiligten
Wichtigste Spielregel ist, immer zu fotografieren ohne den Gedanken zu haben, das sei peinlich oder das macht man nicht.
Die verlässliche Regel muss lauten: immer fotografieren in den festgelegten Grenzen. Dies muss im Vorfeld den behandelnden Ärzten mitgeteilt werden und diese müssen im Falle einer Operation auch gebeten werden, vor, während und nach der Operation von den betroffenen Organen und Wunden Fotos zu machen.
Der Sinn dabei ist, erstens Ängste abzubauen und zweitens Situationsbewältigung, um situationsgerecht und dadurch besser vor, während und nach dem Krankenhausaufenthalt damit umgehen zu können und nicht in einem kleinen Johari-Fenster zu landen.
Der Patient spürt die Schmerzen, der Arzt sieht die Wunde
Der Patient erinnert sich nur an das, was er ohne Betäubungsmittel wahrnimmt, welche Gefühle er hatte, welche Schmerzen und welche Probleme. Er/sie kann die Situation nicht entsprechend erfassen. Die Angehörigen sind natürlich ebenso emotional beteiligt und wollen in solchen Situationen etwas tun, wissen aber natürlich nicht was. Die Ärzte sind oft reduziert auf die fachliche Seite und wissen natürlich auch nicht, wie sie mit Patienten über die Situation sprechen sollen. Für sie selbst ist es normal, für den Patienten eine absolute angstbesetzte Ausnahmesituation.
Fototherapie im Selbstversuch
Da es natürlich schwierig ist, dies mit anderen zu praktizieren, habe ich situationsbedingt einen Selbstversuch unternommen. Die Umstände der Krankheit sind hier weniger interessant, nur soviel, es war eine mittelschwere Operation.
Rückblickend kann ich feststellen, dass der Zwang zum Fotografieren von der Aufnahme im Krankenhaus über die Blutabnahme, das Anziehen der Strümpfe bis zur Verabschiedung der Angehörigen vor der OP dazu führte, dass alle Beteiligten inklusive der Schwestern nach 5 Minuten sehr locker wurden und mit der Situation wesentlich gelöster umgingen.
Die Ärzte konnten mir nach der Operation in aller Ruhe die Fotos zeigen und mir erklären, wie die Operation verlaufen ist, wie es aussah und sie konnten auch meine Angehörigen entsprechend gut informieren. Man merkte auch den Ärztinnen und Ärzten an wieviel entspannter diese Situation für sie selbst war.
Ich selbst habe tagelang ziemlich wenig von mir mitbekommen. Doch auch ich fotografierte mich munter weiter in allen möglichen Krankenhaussituationen – ausser beim Pinkeln. Man muss auch Grenzen formulieren beim Fotografieren.
Selbstwahrnehmung war ganz anders
Als ich die Fotos von mir dann nach dem Krankenhausaufenthalt zu Hause in Ruhe anschauen konnte, bemerkte ich, wie sich meine Sicht völlig veränderte. Aus der Situation des Betroffenen wurde eine immer mehr sich differenzierende Auseinandersetzung, die mir gut tat.
Bei vielen Fotos spürte ich noch mal den Schmerz, hatte die Situation auch völlig anders in Erinnerung und war regelrecht erstaunt, dass mein gespeicherter emotionaler Eindruck überhaupt nicht mit der tatsächlich aufgenommenen Situation übereinstimmte. Es war einfach gut.
Bessere Bewältigung
Ich kann für mich diesen Selbstversuch positiv beenden. Insgesamt konnte ich die Situation auch rückblickend wesentlich besser bewältigen und als Teil meines Lebens bewusst wahrnehmen und integrieren.
Fototherapie als Chance
Abschliessen möchte ich mit einigen Schilderungen, die zeigen, was man mit der Fototherapie noch alles machen kann.
In der emotion Nr. 1 2008 wird ein Projekt Kalenderfrauen beschrieben. Die Schauspiellehrerin Marlene Beck entwickelte mit der Fotografin Barbara Schöning einen Kalender mit ganz normalen Frauen, die als Aktmodelle zur Verfügung standen. Annette, eines der Modelle, sagt dazu: „Erst kostete das Posieren Überwindung. .. Das Projekt … hat mich sehr bestärkt, ich stehe jetzt mehr zu meinem Körper.“
In dem Buch Playboy Helmut Newton schildert Gary Cole den Fotografen. Dort schreibt er: „Seltsam, aber typisch für die beiden, dass Alice ein Photo von sich und Helmut machte, als er nach seinem Unfall sterbend auf einem Tisch in der Notaufnahme lag; in der einen Hand hält sie seinen Kopf, in der anderen die Kamera. Helmut hatte Jahre zuvor einen schweren Herzinfarkt, den er beinahe nicht überlebt hätte. Er photographierte sich durch das ganze Schlamassel hindurch, als er mit Nadeln in den Armen an Monitore angeschlossen war.“
In der National Geographic Deutschland vom März 2007 wird ein Uganda-Fotocamp dargestellt, welches u. a. Fotografen dieses Magazins organisierten. Als Hilfe gegen die erlebten Schrecken. „Bilder erleichtern das Sprechen, das Verarbeiten von Leid. Wir wollten mit dem Projekt den Heilprozess beschleunigen, sagt Ed Kashi.“
Es sind allein diese drei Ansätze, die zeigen, dass Fotos zu einem neuen Verständnis von sich, von anderen und der Welt führen können. Ich plädiere daher mit Nachdruck für den Ansatz der Fototherapie. In diesem Sinne wünsche ich viel Erfolg.
Nachtrag:
Ein weiteres Beispiel finden Sie hier.