Armut in der Kunst der Moderne

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Armut wächst auch in Deutschland gerade unter denen, die sich früher durch Arbeit davon befreien konnten.

Seit die soziale Marktwirtschaft – mit der Chance durch Fleiß und dem Angebot an gut bezahlter und sozialversicherter Arbeit aufzusteigen – durch eine liberale Politik ersetzt wurde, die Menschen arm trotz Arbeit läßt und mit Hartz 4 diese Menschen bei Verlust des Arbeitsplatzes bewußt finanziell und materiell ausbluten läßt bis sie ganz arm (dran) sind, ist die Hoffnungslosigkeit und die Zeit der extremen Gegensätze auch in Deutschland angebrochen.

Verkneifen kann ich mir dabei nicht den Hinweis, daß ausgerechnet die Sozialdemokraten die Armut in Deutschland wieder eingeführt haben zusammen mit den grünen Ökos. Und beide Parteien beharren bis heute darauf, daß es richtig war die Bevökerung in Armut zu stürzen statt die entstandenen Probleme zu lösen.

Ob dies in einem kleinen Land wie Deutschland aber so konfliktfrei bleibt wie in den USA, die allein durch ihre territoriale Größe manches nebeneinander ermöglichen, darf bezweifelt werden.

In Karlsruhe fand eine Tagung statt, die die neue Wirklichkeit und ihre Verarbeitung in der Kunst als Ausdruck des Umgangs mit der vorgefundenen Realität dokumentierte. Daraus wurde dann ein Buch.

Gut gedacht und gut gemacht! – möchte man den Veranstaltern zurufen.

Die Herausgeber legten den Schwerpunkt auf das 20. Jahrhundert und ermöglichen so ein wirkliches Verstehen.

Das Buch ist ein wirkliches Highlight, auch wenn es eher still und bescheiden daherkommt.

Wer Dokumentarfotografie bzw. sozialdokumentarische Fotografie verstehen will, der findet hier ein gutes und aktuelles Buch.

Die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, das Festhalten von sichtbaren sozialen Zuständen und die künstlerische Verarbeitung, um damit zu leben, es zu zeigen, Öffentlichkeit zu erreichen und Bewusstsein zu schaffen – alles dies ist in diesem Band vereint.

Substanzreich und gut, ohne Geschwafel und voller Essenz entfaltet sich dem Leser ein Bild von Entwicklungen und Zuständen, die oft genug das neue Gesicht unserer Zeit bilden.

2011 erschienen ist das Buch heute noch aktueller, weil es alles zusammenfaßt, was zu dem geführt hat, was wir heute sehen.

Große und kleine Namen, aktuelle Medienereignisse und dokumentiertes Handeln sind in dem Buch zu finden. Sebastiao Salgado kommt darin vor. Der Film von Wim Wenders über ihn ist gerade rausgekommen. Martin Parr und Richard Billingham erleben gerade eine immer größere Öffentlichkeit. Aber auch Käthe Kollwitz und Heinrich Zille. Andres Serrano und das Morrinho Project sind bei uns eher unbekannt.

„Ein letzter Schritt bestand darin, das Thema nach Leipzig zu tragen, eine Großstadt, die nach den letzten Erkenntnissen des Statistischen Bundesamtes derzeit die ärmste der Bundesrepublik ist.“

Völlig ungewollt erhält damit das Buch auch noch eine fast tagespolitische Aktualität.

Ich erinnere nur an die PEGIDA Bewegung in Dresden und die Aktionen in Leipzig (LEGIDA). Allerdings wurde in keinem einzigen offiziellen Kommentar dazu Armut thematisiert oder als Ursache erwähnt obwohl dies hier schon 2011 publiziert wurde. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Armut, Hartz 4 und Ausländerfeindlichkeit? Eine brisante Frage, die in der Geschichte bei anderen Gelegenheiten schon oft beantwortet wurde. Bei uns ist es ein Tabuthema. Und würde man dieses Problem verkleinern können, wenn man das Problem der Armut anpacken würde? Eine Frage, die an der bestehenden Verteilung und Hartz 4 rüttelt, wo jeder arbeitslose Arbeitnehmer, der jahrlang das Sozialsystem gestützt hat, materiell mit allen gleichgesetzt wird, die dies nie getan haben oder die hier Schutz suchen.

So schürt man politisch gewollt Hass und so zersetzt man die Toleranz, Leistungsbereitschaft und das Engagement der Menschen, die eine Demokratie im Inneren zusammenhalten.

Doch mit Worten, die diese Realität beschreiben, macht man sich keine Freunde. Also packen wir die Fragen und Gedanken besser wieder ein.

Die extremen Gegensätze, die das neue Deutschland prägen, werden unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Das ist das Ergebnis politisch bewußter Entscheidungen. Es ist das Gesicht der Neoliberalen, das wir hier sehen. Woanders war es schon früher und dort versuchte man es zu dokumentieren.

Arme wehren sich meistens nicht gegen die Reichen sondern kämpfen eher untereinander. Und so dokumentieren die Beiträge die wenigen Versuche, Öffentlichkeit zu schaffen und Wirklichkeit festzuhalten, die verändert werden sollte. Vielleicht müßte man kontrastierend dazu Fotos von Reichen und Reichtum heute setzen, damit deutlich wird, wie extrem groß die Lücke ist.

Es geht ja nicht darum, daß einige mehr und andere weniger haben. Das gab es früher auch. Aber heute ist es anders. Je extremer die Gegensätze desto weniger staatliche Absicherung für alle, weil die Reichen u.a. auch die Gesetze machen (für sich) und kaum Steuern zahlen. Das zeigen die USA ebenso wie die Sowjetunion und zunehmend auch Europa und Deutschland. Die entmutigenden Widersprüche zersetzen langsam alles.

Auch der Hinweis in dem Sammelband, daß Armut eigentlich nicht den Wohlfahrtsverbänden überlassen werden darf, halte ich für wichtig. Denn diese verfestigen die Armut und legitimieren die bestehenden Verhältnisse – so weh diese Aussage auch tut.

Nun gut, dies steckt alles in diesem Buch als Darstellung der sozialen Wirklichkeit „in der Kunst der Moderne.“

Eine gute Grundlage für ein tieferes Verständnis von sozialdokumentarischer Fotografie und sozialer Realität und von Armut – und für eigene Gedanken!

Das Buch ist im Jonas-Verlag erschienen.

herausgegeben von
Franziska Eißner und Michael Scholz-Hänsel
Armut in der Kunst der Moderne
Verklärend oder verstörend, nüchtern oder obszön: Bilder von Armut lösen ein breites Spektrum an Gefühlen aus. Moderne Kunst positioniert sich dabei nicht selten in einem Spannungsfeld zwischen Ethik und Ästhetik. Sie will für ein aktuelles, aber gern verdrängtes Thema sensibilisieren und zur Diskussion darüber anregen. Von Käthe Kollwitz und Heinrich Zilles konträren Darstellungen des Berliner Milieus um 1900 über Arte povera und Sebastião Salgado bis hin zu Boris Mikhailovs fotografischen Inszenierungen nackter und kranker Körper von sozial Ausgeschlossenen weist die Kunst- und Kulturgeschichte eine Vielzahl oft widersprüchlicher Darstellungsarten auf.

Die weitgehend am Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig konzipierten Beiträge basieren auf einer gleichnamigen Tagung, die kurz vor 2010, dem »Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung« in Karlsruhe stattfand. Dem Autorenteam gehören neben Kunst- und Fotografiehistorikern auch ein Soziologe und ein Ausstellungsmacher an.

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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