Die neue Dokumentarfotografie?

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„Was ist der Unterschied zwischen einer „funktionalen“ dokumentarischen Fotografie und der mit künstlerischem Anspruch?

SE: Die rein funktionelle Fotografie soll objektiv sein. Es geht ja nur darum, Geschehnisse zu dokumentieren, obwohl das natürlich nie 100 Prozent funktioniert, aber das ist ja die Absicht dahinter. Der künstlerische Ansatz bringt Haltung mit sich, Meinung, und kann sich deswegen von Geschehnissen distanzieren, was die Dokumentarfotografie nicht kann.“

So sehen es junge Fotografinnen und Fotografen, wie man im Monopol-Magazin lesen kann.

Interessant ist dabei auch, daß die Art wie man Fotos aufnimmt, den Weg zum künstlerischen Ansatz definiert: „AK: Bei mir kam ein Projekt in der Lette-Schule mit dem Museum Hamburger Bahnhof in Berlin hinzu, wo jede Person eine Antwort auf eine der gezeigten Editionen von Michael Schmidt geben sollte. Er hat zum Beispiel auch Kriegsfotos abgebildet und Raster drübergelegt, damit man sich davon entfernen muss . So hat er seine Meinung abgebildet. Dadurch kam mir die Idee, Sachen quer zu stellen, die Bilder stark zu beschneiden und die Inhalte so langsam lesbar zu machen.“

Hier sind einige Aussagen zu finden, die den Umgang mit Fotografie in unserer Zeit zeigen. Es ist die völlige Freiheit. Fotografie bleibt immer jung und lebt in der Gegenwart. Was da ist, wird genutzt.

Das betont aktuell auch Alex Webb bei Magnum. Vorbei die Zeit als nur eine Marke für Qualität stand. Fotografische Qualität liegt im Auge des Betrachters. Webb sagt:

„Great photographs have been taken with all kinds of cameras—from Brownies to 8×10 cameras, from smart phones to 35mm cameras. These days, some photographers are taking remarkable photographs with smart phones. In the end, what’s most important is how one sees. The camera itself is merely a tool.“

Auf Deutsch (google): „Mit allen Arten von Kameras wurden großartige Fotos aufgenommen – von Brownies bis zu 8 × 10-Kameras, von Smartphones bis zu 35-mm-Kameras. In diesen Tagen machen einige Fotografen bemerkenswerte Fotos mit Smartphones. Am Ende ist es am wichtigsten, wie man sieht. Die Kamera selbst ist lediglich ein Werkzeug.“

Für mich es nach diesen vielen Jahren der Beschäftigung mit Fotografie in Theorie und Praxis auch müßig, die Frage zu stellen, ab wann oder ob Dokumentarfotografie objektiv oder subjektiv ist. Denn ich habe dazu eine differenzierte Antwort.

Damit nicht genug.

Hat Henri Cartier-Bresson Reportagefotos, Dokumentarfotos, Streetfotografie oder Schnappschüsse gemacht?

Mir fällt auf, daß Wörter in ihrer ursprünglichen Bedeutung in einer späteren Gegenwart oft kaum mehr so genutzt werden wie sie ursprünglich gemeint waren.

Was früher politisch rechts und links war, ist heute oft seitenverkehrt. So ist es u.a. auch in der Fotografie und fast überall im Leben.

Das beste Beipiel ist die „Deregulierung“. Hört sich gut an, meint aber im neuen Sinne die Abschaffung des Sozialstaats und die Bestrafung der Fleißigen.

Was ist übrigens eine Haltung?

War es Ihnen bis hierhin unbewußt klar?

Wird jetzt deutlich, wie einfach wir Wörter nutzen ohne zu wissen, was wir genau damit meinen?

Ist eine Haltung, wenn ich dafür oder dagegen bin, ist eine Haltung ein Bauchempfinden oder braucht es zu einer Haltung eine fundierte Meinung, die auf Belegen und Tatsachen beruht?

Zeitgeist setzt sich aus Zeit und Geist zusammen.

Geist bedeutet eigentlich Verstand und nicht Gespenst.

Aber das ist abhängig davon, welche Meinung ich habe.

Ist eine Meinung eine Haltung oder wie meine ich das?

Die Zukunft ist also offen und die Fotografie der Gegenwart so frei wie selten.

Ich wünsche mir weiter eine Freiheit voller Fragen und guter Fotos.

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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