Über Fotografie schreiben

Über Fotografie schreiben ist wie Essen kochen und es dann genießen.

1.

Es geht also darum den Prozess des Fotografierens bis zum Flow einerseits und das Ergebnis andererseits (Fotos) zu einer eigenen Erfahrung zu machen, die im Schreiben zu einer Reflexion und Erkenntnis führt.

Und es geht darum, dies alles einzuordnen in das Thema Fotografie auf der Welt gestern und heute.

Wer eine Kamera entdeckt und dann einen Bericht über seine Erfahrungen mit der Kamera schreibt, der macht genau dies.

Wer über die Möglichkeiten von Objektiven schreibt, die er/sie benutzt, der macht es auch.

Dann kann man weiterfragen.

Wer macht dies noch, warum macht man dies oder warum auch nicht?

Und so ist man mittendrin im Leben mit der Fotografie zwischen sozialen Gebrauchsweisen, technischer Entwicklung, persönlichen Möglichkeiten, Aufzeichnung und Reflexion, Gestaltung und Wirkung.

Dies geht mit Videos so nicht.

Texte bieten die intensivere und detaillierte gedankliche Auseinandersetzung, weil Schreibprozesse nach innen führen, während Seh- und Sprechprozesse sich nach aussen orientieren.

Es geht dabei nicht um besser oder schlechter sondern um das, was ich erreichen will.

2.

Aus meiner Sicht möchte ich das Thema nun an einem Beispiel erläutern.

Ian Jeffrey hat ein Buch über einige bekannte Fotografen geschrieben.

How to read a photograph (Wie man eine Fotografie liest ) ist der Titel.

Wenn man es liest, wird deutlich, wie interessant es ist, sich mit anderen zu beschäftigen, um sich zu bestätigen oder neue Dimensionen zu entdecken.

Witzigerweise ist das Buch auf Deutsch nie mit seinem englischen Titel in Übersetzung rausgekommen, dafür aber zwei Mal unter einem jeweils anderen Titel wie man auf dem Foto sieht.

Am Beispiel von Jörg Sasse aus dem Buch und seinem Foto Köln P-91-06-05 möchte ich erklären, warum dieses Buch ein gutes Beispiel für das Thema Schreiben über die Fotografie ist.

Jeffrey weist darauf hin, daß Matisse 1915 ähnliche Kompositionen als Malereien schuf wie später Sasse als Fotos einfing, nämlich bunte Streifen, die unterbrochen und von Farbflächen und Mustern verziert werden.

Und so ist der Weg vom Bild zum Foto auch nachvollziehbar, wenn man das Bild als Malerei und das Foto als neue Art der Lichtmalerei versteht.

Das allein kann einen echten Erkenntnisgewinn beim Sehen von Fotografien darstellen. Dabei geht es hier nicht um Geld und Kunst, sondern um eigene Erkenntnisgewinne beim Lesen von Texten über die Fotografie.

Entzückenderweise kommt aber jetzt noch etwas hinzu.

Henri Matisse war mit Henri Cartier-Bresson befreundet.

Daraus entstand das weltberühmte Buch The Decisive Moment…

Selbst wenn man nicht so berühmt ist oder wird, lohnt sich das Schreiben über Fotografie – sogar wenn man nur selbst sein eigener Leser ist.

Denn die gelebte Zeit, die bewusst genossene Lebenszeit einzuordnen in den Weltenlauf, hilft ungemein beim Blick auf die Welt, um sie zu sehen und zu verstehen.

Hinzu kommt heute natürlich noch die Überschwemmung mit Fotos als reinem Kommunikationsmittel in sozialen Medien. Die Rettungsringe, die da helfen, um nicht im Meer der digitalen Bilder zu ersaufen, sind wohl  u.a. Begrenzung und Zufall.

3.

Damit komme ich zum Thema der Zeitgebundenheit und der eigenen Entwicklung.

Als ich die Dokumentarfotografie bewusst entdeckte und mit Henri Cartier-Bresson das Fotografieren entdeckte, war mein Bewusstsein das eines fotografischen Entdeckers. Zudem hatte ich das Gefühl die beste Zeit schon verpasst zu haben, weil das Zeitalter der klassischen Fotoreporter sich seinem Ende näherte.

Die Leica als Statussymbol und als Kompetenzsymbol erwiesen sich als irrelevant, weil in Profikreisen nur Canon und Nikon zählten und in Hobbykreisen wie z.B. beim englischen RPS German Section nur das Bild zählte ohne Relevanz der Kamera.

In meiner Fotopraxis war ich dann mit eher kleinen Kameras unterwegs, weniger mit Canon und Nikon aber mehr mit Olympus und Lumix, wenn es um sicheres Fotografieren ging.

Dann fing das Wachsen der Dominanz des Smartphones an und so ging es hin und her.

Heute ist alles gleichzeitig möglich und wir können uns für jede Situation das optimale Werkzeug raussuchen.

Es ist also vieles technisch einfacher geworden, wenn auch nicht leichter bei der fotografischen Gestaltung..

Bei mir wandelte sich auch mein Blick. Was ich vor zehn oder fünfzehn Jahren sah, sehe ich heute teilweise anders, weil ich mehr weiß und sich mein Horizont verändert hat.

Gute Beispiele dafür sind Henri Cartier-Bresson und Friedrich Seidenstücker.

Heute weiß ich bei Seidenstücker, daß er nur heute vergessen ist, aber früher sehr bekannt war und ich tatsächlich glaubte, er wäre früher schon vergessen gewesen.

Und bei Cartier-Bresson entdeckte ich, daß er auch so berühmt wurde, weil er – ohne seine fotografischen Qualitäten anzuzweifeln – aus einer reichen Familie mit vielen wichtigen Kontakten stammte und in Frankreich eben auch mit Magnum  beauftragt wurde, den Zeitgeist positiv darzustellen und die prominenten und reichen Bekanntheiten zu porträtieren.

Man schreibt also immer nur mit dem eigenen Zeithorizont und dem eigenen Wissensstand.

Das macht aber gerade Entwicklungen aus, die mehr sind als Fakten. Es sind Erkenntnisse aus Verknüpfungen zwischen Zeit und Raum.

Nun ist so ein Artikel ja ein unendlicher Text. Deshalb muß man irgendwo anfangen und irgendwo aufhören.

Hinzu kommen die fast 2.000 Artikel auf meinen hier verlinkten Blogs zum Thema Fotografie zwischen sozialer Gebrauchsweise und technischer Umsetzung.

Da gibt es ja noch genug zu lesen und zu entdecken.

In diesem Sinne mache ich an dieser Stelle Schluß mit einem Link zur Frage, warum das Lesen so wichtig für das Fotografieren ist…

In diesem Sinne!

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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