Der neue Geschmack der Zeit in der Fotografie

„Daher kommt es, daß wir oft auf Dinge hinarbeiten, welche, wenn endlich erlangt, uns nicht mehr angemessen sind; … Oder auch umgekehrt, wir kommen zu spät mit den Dingen; da nämlich, wo es sich um Leistungen, oder Produktionen handelt: der Geschmack der Zeit hat sich geändert; ein neues Geschlecht ist herangewachsen, welches an den Sachen keinen Anteil nimmt; andere sind auf kürzeren Wegen uns zuvorgekommen usf.“

Als ob Arthur Shopenhauer von mir und meiner fotografischen Entwicklung gesprochen hätte!

Als die Geschehnisse und Ereignisse mich überwältigten, wolle ich sie fotografisch festhalten, weil ich nur durch Schreiben vieles nicht zeigen konnte. Aber ich war mit meinen Dokumentarfotos nicht zufrieden und suchte mir letztlich Vorbilder, von denen ich lernte.

Die Filme mit Henri Cartier-Bresson und seine Bücher sowie ein Onlinekurs von Sebastiao Salgado wurden meine Orientierungspunkte, während Seminare vor Ort mir eher soziale und seelische Zustände einer fotografischen Welt im Umbruch vermittelten.

Und so wurde ich ein guter Dokumentarfotograf aber die Zeit für gute Fotodokumentationen mit meinen Themen war vorbei.

Video wurde zum Daseinsersatz im Fernsehen, Fotodokumentationen verloren an sozialem Wert.

Damit aber nicht genug.

Schopenhauer hat auch Recht, wenn er feststellt, daß wir zu spät zu den Dingen kommen, weil der Geschmack der Zeit sich geändert hat.

Während ich hier über die Vorteile geschrieben habe, analoge Ansätze digital neu zu erfinden wie den hybrid-optischen Sucher von Fuji oder die Messsucherkamerabauweise mit dem Sucher links, hat sich die Welt um mich herum völlig verändert.

Das Gesicht der Zeit mag das Smartphone und bei Digitalkameras hat der digitale Sucher gewonnen.

Natürlich gibt es mein Denken und meine Ansätze noch aber zunehmend als Nische jenseits der Moden.

Man sieht es sehr schön an dem Foto von mir hier. Oben im Foto ist die „alte“ Fuji X100 mit dem hybrid-optischen Sucher. Sie blickt auf die XE2s und die XE3 von Fujifilm. Meine beiden XE2s nutzen neue manuelle Objektive und besitzen einen digitalen Sucher, der sowohl ein digitales Schnittbild ermöglicht wie auch eine digitale Vergrößerung, um manuell exakt zu fokussieren. Der digitale Sucher ist für manuelle Objektive mittlerweile die bessere Wahl, weil man genau sieht was dabei rauskommt ohne auf das meditative Sehen verzichten zu müssen.

Die XE3 hat ein Objektiv mit Autofokus, so daß ich auch schnell fotografisch schiessen und treffen kann.

Insgesamt ergibt dies eine Fülle an Möglichkeiten, die mich parallel schon überfordert und nur im zeitlichen Ablauf bei passenden Gelegenheiten wirklich nutzbar ist.

Aber zur Wahrheit gehört auch, daß die Fotos hier mit einem Iphone XR aufgenommen wurden und mit Hipstamatic bearbeitet worden sind, weil die Nähe und Direktheit dieses Fotos so besser aufgenommen und gestaltet werden konnte.

Die Mischung macht´s!

Nun kann ich neue Wege gehen so wie ich es mir vorgenommen habe.

„Ein Foto einer verregneten Scheibe interessiert mich mehr als das Foto einer berühmten Person“, sagt Leiter als weiser alter Mann in einem Dokumentarfilm, in dem er mit melancholischer Heiterkeit auf sein Leben zurückblickt.“

So steht es in einem sehr schönen Text in der Augsburger-Allgemeine über Saul Leiter.

Und weiter heisst es dort: „Seine beste Zeit hatte Leiter zweifellos in den 1950er Jahren. Vieles von dem, was er da auf 35 mm Kodachrome Farbdialfilm fotografierte, gehört zu den musealen Ikonen der frühen Farbfotografie. Der Fotograf bevorzugte, um Geld zu sparen, Filme, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen war – was eine eigene, sanfte Farbintensität hervorbrachte.“

Der Text scheint von einer kompetenten Person geschrieben worden zu sein, weil er vieles gut zusammenfasst.

Ich fühle mich von ihm und seiner fotografischen Philosophie zunehmend mehr angesprochen.

Ich beschäftige mich zunehmend mit Saul Leiter und Gordon Parks.

Interessant wird es u.a. daher für mich, in digitalen Zeiten meinen Look für abgelaufene Kodachrome Diafilme zu finden.

Die Software dazu ist ja vorhanden, so daß mit RAW und Ruhe sicherlich dieses Projekt Form und Farbe annehmen kann.

Und so ist mein Geschmack der Zeit in der Fotografie durch genau das, was Schopenhauer so trefflich beschrieben hat, ebenfalls einem Wandel unterworfen.

Grenzen ergeben dann neue Möglichkeiten und technischer Wandel ergibt dann neue Kombinationen mit neuen Chancen, auch in der Fotografie.

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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