Fineart Streetphotography – die feine Art der Strassenfotografie

einfaches Beispiel für Strassenfotografie – Foto: Michael Mahlke

Wenn man nicht nur fotografiert sondern auch über Fotografie schreibt, dann ist man immer wieder erstaunt, was diskutiert wird. In der Zeitschrift Photonews wurde nun in den letzten Ausgaben über Strassenfotografie geschrieben. Dabei kam in meinen Augen heraus, dass heute erlaubt ist, was gefällt. Dies bedeutet, die von mir hier oft diskutierten Kriterien für gute Strassenfotografie fallen samt und sonders weg. Daher will ich sie noch einmal nennen:

1. keine entlarvenden und verletzenden Fotos

2. immer geometrisch gestaltet

3. die Achtung aller Persönlichkeitsrechte, d.h. entweder Einwilligung oder ohne direkte Erkennbarkeit fotografiert, das ist ja genau die Kunst

4. optisch gestaltete Situationen, z.T.  mit Bokeh

5. die Fotos erzählen eine Episode bzw. Geschichte

Diese fünf Kriterien (= 5 Sterne) kommen in der neuen Strassenfotografie nicht mehr vor. Wenn ich im Netz darüber lese, dann ist fast immer alles erlaubt. Selbst die Mißachtung der Persönlichkeitsrechte, von Geometrie oder anderen Elementen ganz zu schweigen.

Und damit werden dann sogar Ausstellungen gemacht und diese werden dann auch noch in den fotografischen „Leitmedien“ besprochen, vielfach sogar gelobt.

Übrigens ist diese Veränderung auch bei der englischen Wikipedia zu finden. Während dort 2007 noch detailliert besprochen wurde, was Streetphotography inhaltlich und technisch bedeutet, so ist dies im aktuellen Artikel völlig anders.

Strassenfotografie im Wortsinne – Foto: Michael Mahlke

Strassenfotografie hat eigentlich den Zweck, im öffentlichen Raum der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Dies geschah meistens ironisch und distanziert in einem aussagekräftigen Moment.

Die klassische Streetphotography, die dieses tat, fand historisch ungefähr zwischen 1890 und 1975 statt.

Die generelle Idee hinter der Streetphotography war das unauffällige Fotografieren.

Die Fotografierten sollten gar nicht merken, dass sie fotografiert werden.

Später wurde diese Sichtweise als altmodisch verworfen und die neue fotografische Freiheit ohne Geometrie und klassische Gestaltung ausgerufen (offenkundig bis heute).

 

Man kann dies und die Veränderungen danach im Prinzip an Personen festmachen, wobei eine Person grob für eine ganze Personengruppe und Anschauung steht:

  • Henri Cartier-Bresson für das unauffällige Fotografieren mit Kleinbildkamera
  • Beat Streuli für das Distanz-Fotografieren mit Teleobjektiven
  • Martin Parr für das sichtbare Blitz-Fotografieren
  • Bruce Gilden mit seinem plötzlichen „Anblitzen“

So entwickelte sich die Streetphotography vom unauffälligen Fotografieren zum auffälligen Fotografieren. Entsprechend unterschiedlich sind die Motive und die Fotos. Ich bin für die Rückkehr zum unauffälligen Fotografieren mit den oben beschriebenen Qualitätskriterien. Aber wie sie auch hier lesen können, wird dies nicht überall geteilt.

Daher habe ich eine neue Begrifflichkeit entwickelt und ein einfaches Schema, um dies zu unterscheiden.

Strassenfotografie läßt sich zwischen Fineart und Paparazzi einordnen.

Diese beiden Begriffe geben die gedankliche Grenze vor.

Hinzu kommt die Art und Weise wie ich lieber fotografiere. Mag ich die Nähe oder ist mir die Distanz lieber?

Die nachfolgende Grafik gibt Ihnen die Chance, ihre Art der Streetfotografie klar einzuordnen:

Grafik: Michael Mahlke
Grafik: Michael Mahlke

Abschließend möchte ich noch einmal den Fall Nussenzweig erwähnen.

Da die Frage nach dem Recht am eigenen Bild ausserordentlich interessant ist, sollte man dies zumindest wissen.

Letztlich bleibt dann nur noch festzustellen, dass dann, wenn alles möglich ist, gerade die Abgrenzung auch die Qualitätskriterien sichtbar machen kann.

Über die Kriterien kann man sich streiten, aber man sollte sie nennen und kennen, wenn man mehr als Knipserei will.

In diesem Sinne …

Text 1.1 – Dieser Text erschien ursprünglich im Jahr 2011 und wurde nun erweitert

11 thoughts on “Fineart Streetphotography – die feine Art der Strassenfotografie

  1. Sinnvolle Kriterien werden glücklicherweise nicht dadurch ungültig, dass sie kaum berücksichtigt werden.
    Es steigt nur der Anteil von „Schrot(t)schüssen“:
    tausende veröffentlichte Bilder mit minimaler Aussage und ebenso geringer gestalterischer Qualität

    Vorteil dieser Entwicklung: gute Fotos fallen direkt wieder auf! 🙂

  2. Hallo Michael,

    Dein Artikel ist ja geradezu erfrischend! Endlich mal jemand, der sich tiefere Gedanken zum Thema Qualität in der Street-Fotografie macht. Ich stelle gerade aufgrund der Diskussion von neulich auf kwerfeldein selbst Überlegungen dazu an, was Street-Fotografie noch leisten kann und soll heutzutage.

    Ich glaube wenn mehr (Möchtegern)Street-Fotografen die Qualität und den Inhalt ihrer Arbeiten kritischer betrachteten und also auch ihr Werk mehr selektierten, würden Fragen nach der Legalität schnell in den Hintergrund treten, weil evtl. tatsächlich mehr künstlerische Bilder und/oder Zeitdokumente produziert werden würden, die dann ggf. auch eher von der Kunstfreiheit gedeckt wären. So weit denken nur leider die meisten Knipser nicht, und schimpfen lieber auf die spießigen deutschen Gesetze.
    Anstatt zu jammern, dass das relativ strenge Recht am eigenen Bild die eigene (in vilen Fällen gar nicht vorhandene) fotografische Kreativität beschneidet, könnte man ja auch fragen, ob es nicht erst den wahren kreativen Geist fordert zu überlegen, welche Art von Street-Fotografie man denn innerhalb der gesetzlichen Spielregeln noch machen kann.

    Danke auch für den Hinweis auf das Nussenzweig Urteil, kannte ich noch gar nicht. Die entscheidende neue Info ist daran für mich der Punkt, dass Werke auch kunstgemäß vertrieben bzw. publiziert sein müssen, wollen sie als Kunst anerkannt werden. Das sollte vielen Bloggern, die für sich reklamieren das Street-Fotografie generell eine Kunst sei, zu denken geben. Denn jeden tag ein neues Bild hochzuladen, ist mit kunstgemäßem Vertrieb wohl kaum gemeint.

    Nun noch zu Deinen 5 Punkten:

    Bei Punkt 1 bin ich nicht sicher, was Du unter entlarvend verstehst. Entlarvend im Sinne von Missstände oder Probleme aufzeigen, Absurditäten zu demaskieren, wie etwa in diesem Klassiker von Erwitt http://overhereplease.files.wordpress.com/2011/02/erwitt1.jpg, sollte doch wohl nicht damit gemeint sein?

    Punkt 2 und Punkt 4 würde ich so zusammen fassen, dass auch die, mehr oder weniger, spontane Street-Fotografie neben einem relevanten/erzählenden Inhalt eine ansprechende Bildkomposition (nur geometrische Faktoren wäre wir persönlich hier zu eng) und eine die Aussage unterstützende Gestaltung besitzen sollte. Diese beiden Elemente trennen schließlich meist die Spreu vom Weizen.

    Punkt 3: Volle Zustimmung

    Punkt 5: würde ich evtl. ergänzen, dass der Inhalt auch anhand einer konkreten Situation eine allgemeine Befindlichkeit, ein Phänomen, einen Zustand etc. einer Gesellschaft versinnbildlichen kann. Hier kommt man in den Grenzbereich zur Reportage- und Dokumentationsfotografie, die ja auch „Street“ sein können.

    Was noch zu überlegen wäre ist die Frage noch dem Stichwort „Zeitgenössisch“. Wie zeitgenössisch muss/soll Street-Fotografie sein und was bedeutet das heute.

    1. Das Bild von Erwitt entlarvt die soziale Situation. Das finde ich gut. Das meine ich nicht. Ich meine mit entlarvend das Bloßstellen eines Menschen im negativen Sinn. Wo für mich die Grenze schon überschritten ist, sieht man hier: http://www.flickr.com/photos/rubenneugebauer/sets/72157629141121419/with/6806070361/

      Vielleicht hätte ich nur verletzend schreiben sollen statt entlarvend und verletzend, aber es gibt ja Situationen, die bloßstellen ohne dadurch direkt zu verletzen. Das meinte ich damit. Danke für die Nachfrage!

      Die Frage nach dem Zeitgenössischen in der Streetfotografie ist gut. Street dokumentiert ja immer das gerade Vorfindbare. Das ist zeitgenössisch und kann auch allgemein menschlich unter den Bedingungen der jeweiligen Zeit sein.

      Was das ist und wie man das wahrnimmt, probiere ich gerade aus mit der Gruppe Zeitgeist, bei der man ja mitmachen kann, wenn man bei flickr Fotos hochlädt.

      Da bin ich mir noch nicht schlüssig. Ich will mir das auch durch Fotos erschließen, bevor ich darüber schreibe. Das soll keine Kopfgeburt werden sondern da soll das Wort nach den Bildern kommen. Daher kann das noch ein paar Jahre dauern.

  3. Der Prozess einer fortschreitenden Dekonstruktion der normativen Gültigkeit von traditionellen, als essentiell erachteten Regelwerken, Geboten und Konzepten des Kunstschaffens ist ja nichts grundlegend Neues.
    Das läuft – mit Gegenwellen – seit über eine halben Jahrhundert so.
    Hier wird nun beleuchtet, daß auch die Streetfotografie erfaßt wurde – von dieser Öffnung, Beschleunigung, Entdifferenzierung, Relativierung…

    Wirklich aufregend daran ist – außer dem Veränderungsprozess der Streetfotografie als künstlerische RanddisziplinKunstschaffens selbst – die soziokulturelle Implikation durch den Angriff auf die – ich nenne es einmal „personality zone“.

    Daß der Aufbruch der individuellen Intimität juristisch an strenge qualitative Regularien und Zielsetzungsvorbehalte – “ im Dienste höherer Kunstinteressen“ – geknüpft ist, kann als Relikt aus dem 19ten/20ten Jahrhundert angesehen werden – und deckt sich nicht mit dem im Wandel befindlichen „allgemeinen Verständnis“.

    Dieses läßt sich kurz und treffend mit „Google, you tube, Facebook, second life“ charakterisieren. Eine Gesellschaft von Medieninfizierten, die sich „DER ÖFFNUNG“ in eine vernetzte Veröffentlichung auch der allerletzten Geheimnisse und Intimitäten lustvoll entgegenwirft, der jede Angst und – trotz Piratenpartei – weitgehend auch jedes vital ausgeübte Schutzinteresse vor der Auflösung und Bedrohung der intimen Humanität abhanden gekommen ist.

    Vor diesem Hintergrund läßt sich wenig Konkordanz für die oben aufgeführten fünf – wunderbaren konzeptionellen – definitorischen Regularien für die „wahre Streetfotografie“ erwarten.

    Und leider ist es eben doch so, daß Regeln, die nicht ausgeführt, befolgt, beachtet werden – dann eben tot sind!

    Jedenfalls im „allgemeinen Verständnis“, anglizistisch näherungsweise: im „mainstream“.

    Natürlich gibt es in unserer multipluralen, aufsegmentierten Gesellschaft dann wieder Subräume, in denen das Alles weiter gilt – in einer Art kontrastivem Purismus vielleicht noch intensiver.

    Aber es ist dann nicht mehr dasselbe wie zuvor!

    1. Ich finde diese Analyse bemerkenswert, vor allem auch die Darstellung der Veränderung des Überschreitens der Schwelle von privat zu öffentlich.

      Ein Beispiel für die neue Schwelle ist aus meiner Sicht hier http://www.koeln-format.de

      Das wäre mir viel zu intim. Ich würde umgekehrt eher sagen, das meiste davon geht niemand was an. Mein Alltagsleben ist allein meine Sache. Nur die fertigen Denk- oder Fotoprodukte gehören in die öffentliche Sphäre.

      Aber so unterschiedlich ist der Umgang mit den neuen Medien.

  4. Mich würde interessieren welches Foto/welche Serie genau du in meinem Blog kritisierst. Leider führt dein Link lediglich auf meine Startseite. Das hilft ja keinem…
    Viele Grüsse,
    HEike

    1. Ich habe das nicht negativ gemeint. Es geht um die Schwelle von privat und öffentlich. Dein Blog ist doch ok, ich persönlich würde nur nicht so viel Privates berichten, aber wahrscheinlich ist das für dich gar nicht privat, was ich so wahrnehme sondern Teil des fotografischen „Dabeisein“. Da unterscheiden Menschen sich dann eben. Es geht um den Beitrag von Aspector s.o.

  5. Achso, ich dachte es ginge um die Streetfotografie…du findest, dass ich in meinem Blog außergewöhnlich privat werde und eine neue Schwelle überschreite? Finde ich ganz interessant… 😉

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