Edward Burtynsky, der bekannte Fotograf, wurde auf einer Podiumsveranstaltung in Berlin 2010 zu einem seiner Bücher gefragt, wie er denn an die Erlaubnis kam, die Fotos der chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken zu machen. Burtynsky antwortete, dass dies die chinesischen Behörden erlaubt hätten, weil es sich um chinesische Fabriken handelte. Die amerikanischen Unternehmen in China hätten dies nicht zugelassen.
Daran erinnerte ich mich, als ich das Buch mit dem Titel „Arbeitswelten. Einblicke in einen nichtöffentlichen Raum“ aufschlug. Offenkundig hatte der Fotograf Werner Bachmeier die Erlaubnis erhalten, alle diese Fotos im nichtöffentlichen Raum aufzunehmen. Dabei handelt es sich um die Themen Elektro- und Metallindustrie, Dienstleistungen, Sozialwesen, Handwerk, Autoindustrie, Chemie sowie Klein- und Mittelbetriebe.
Das Buch ist ein Buch mit drei Ebenen. 1. Es ist ein politisches Buch. Das Vorwort stammt von Michael Sommer, der darauf hinweist, dass es sich um ein Buch zum Thema „Gute Arbeit“ handelt. 2. Es ist ein fotografisches Lesebuch mit Fotos und Texten. Der Publizist Udo Achten weist in seiner Einleitung darauf hin, dass dieses Buch helfen soll, „Fotos zu lesen“. Dazu dienen an einigen Stellen auch erläuternde Texte, die soziale und politische Zusammenhänge aufzeigen. 3. Das Buch ist ein gelungener Querschnitt der aktuellen Arbeitswelt mit ihren „guten“ Bedingungen.
Es handelt sich in den meisten Fällen offenbar um Betriebe, die einen Betriebsrat haben und/oder Tarifverträge. Wer tief genug in der Arbeitswelt verankert ist, der weiß, dass es viele Betriebe gibt, die nicht so aussehen. Aber das ist kein Manko dieses Buches sondern eher ein guter Ansatz: hier wird aufgezeigt, wie „Gute Arbeit“ aussieht in Deutschland, wenn es die Verantwortlichen in Betrieb und Gesellschaft ernst nehmen.
Nun möchte ich aber in dieser Rezension den Blick auf das Eigentliche in diesem Buch lenken, die Fotos und die begleitenden Texte. Die Fotos hat der Fotograf Werner Bachmeier gemacht. Er weist in seiner Einführung mit dem Titel „Kurz aber intensiv“ darauf hin, dass journalistische Fotos “ in einem extrem kurzen Moment“ entstehen und „authentische Portraits von Menschen am Arbeitsplatz … den direkten Zugang zur Person“ erfordern.
Die Aufnahmen zeigen die ungeschminkte Realität. Dazu gehört der OP-Tisch ebenso wie das Pflegebett im Seniorenheim oder der Autolackierer mit Schutzmaske. Und an diesen Stellen wie bei der Schutzmaske finden sich dann auch Texte von Udo Achten wie der zum Thema „Gesundheit“, in dem er auf die krankheitsbedingten Fehlzeiten, Burnout-Syndrome und die Wichtigkeit der Verankerung eines Gesundheitsschutzes im Betrieb hinweist.
Dadurch wird dieses Buch tatsächlich ein Buch mit einer Botschaft. Fotografisch gefallen mir die vielen Nahaufnahmen mit dem Weitwinkel von Werner Bachmeier. Im Prinzip versucht der Fotograf sehr oft die jeweilige Tätigkeit mit den optischen Mitteln der Weitwinkelaufnahme durch die Vergrößerung im Vordergrund in den Mittelpunkt zu rücken und zugleich den Menschen im Hintergrund sichtbar und deutlich zu machen. Wenn man dieses Buch fotografisch betrachtet mit der Frage „Was wird dort getan und wer tut es wie?“ dann ist dies fotografisch in den meisten Fällen sofort durch diese Herangehensweise gut sichtbar und erkennbar.
Dieses fotografische Mittel ist auch deshalb so wichtig, weil natürlich viele Arbeitsplätze einfach langweilig aussehen, es sind eben Arbeitsplätze und keine Menschenplätze. Durch den gekonnten Einsatz des Weitwinkels erhalten aber selbst diese Bilder in diesem Rahmen eine klare Aussage. Denn jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht und das ist das kleine Geheimnis dabei.
Einen Teil der Fotos hat der Fotograf Werner Bachmeier auf seiner Homepage veröffentlicht. Dadurch können Sie sich selbst direkt einen Eindruck verschaffen.
Interessanterweise konnte dieses Buch nur mit Hilfe der Hans-Böckler-Stiftung und der Matthöfer-Stiftung erstellt werden. Das ist bemerkenswert, weil es solche Fotobücher kaum gibt.
Mir sind eigentlich nur zwei bekannt, die ich in diese Reihe thematisch einordnen würde. Das ist einerseits das Buch von Sebastiao Salgado mit dem Titel „Workers“ und andererseits das NationalGeographic Buch „So arbeitet die Welt“.
Das zu Beginn genannte Buch von Burtynsky über China zeigt Einblicke in ein Land und passt daher vom Thema nicht wirklich.
Die beiden thematisch passenden Bücher zeigen allerdings viele Fotos, die vielfach vorher in Magazinen oder anderen Printmedien publiziert wurden.
Das Buch von Bachmeier und Achten geht hier anders vor und bleibt dokumentarisch in Deutschland beim Thema „Gute Arbeit“. Man würde sich wünschen, es gäbe mehr solcher Bücher, zumal es genug Schattenseiten aber auch interessante Arbeitsplätze gibt, die bisher fotografisch nicht dokumentiert wurden.
Mich persönlich hat gerade der fotografische Querschnitt der verschiedenen Arbeitsbereiche auf die durchgehende Funktionalität der Arbeitsplätze aufmerksam gemacht.
Hier muß sich in allen Fällen der Mensch den Arbeitsabläufen unterordnen und funktionieren. Selbst Ruheräume sind völlig funktional.
Gerade die auf einigen Fotos dann am Rande sichtbaren kleinen persönlichen Dinge an einigen – meist – Büroarbeitsplätzen zeigen in meinen Augen den Grad der „Entfremdung“ von sich selbst und die Sehnsucht danach, dies auch am Arbeitsplatz zu überwinden.
Ja, es ist ein Buch, das eine echte Lücke schließt und es ist ein Stück dokumentierte Zeitgeschichte. Es ist einfach gut, wenn es um gute Arbeit geht. Aber es setzt da an, wo Vorarbeit geleistet werden musste. Die Vorarbeit und die bittere Erfahrung trotz gut geleisteter Arbeit seinen Arbeitsplatz zu verlieren ist u.a. auch in meiner Fotoausstellung „Nichts kommt von selbst – 15 Blicke auf das Arbeitsleben“ dargestellt. Dann schließt sich der Kreis.
Werner Bachmeier, Udo Achten:
Arbeitswelten. Einblicke in einen nichtöffentlichen Raum
ISBN: 978-3-8375-0163-6
Klartext Verlag