Die Berichterstattung von unten

Wir sind im Zeitalter der Berichterstattung von Betroffenen angekommen.

„Die Berichterstattung von unten funktioniert….Anders als die meisten der internationalen Fernsehgesichter, die sich, als es ungemütlich wurde, aus dem Kriegsgebiet in ihr Hotelzimmer zurückgezogen haben, sind die Reporter des wahren Lebens vor Ort geblieben. Sie sitzen im Luftschutzbunker. Sie haben sich in den noch nicht zerstörten Teil ihrer Wohnung begeben. Sie sind auf der Flucht. Sie sind im Widerstand. Sie sind mal laut, mal subversiv. Sie sind eine Guerilla-Armee der Kriegsbetroffenen, die bewaffnet mit Handy, Webcam und Laptop die Schlacht ihres Lebens schlagen.”

So beschreibt es Gabor Steingart am 15.03.2022 im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.

Er hat die neue Zeit der Smartphones und social media auf den Punkt gebracht.

Der Kapitalismus ist schon dazu übergegangen und verkauft diese Berichterstattung von unten in seinen eigenen Medien, weil die Fotos und Videos nutzbar sind, da sie auf social media Kanälen gezeigt werden.

Das Zeigen in sozialen Medien erfolgt überall umgeben und eingebettet in Werbung, so daß fast alle damit verdienen außer denen, die die Fotos und Videos produzieren.

Aber die neuen Foto- und Videoproduzenten sind die Berichterstatter von unten, deren Inhalte nun nach oben kommen.

Die nächsten Jahre werden zeigen, was daraus wird.

Wir sind live dabei, wenn die sozialen Medien und ihre Veränderungen unsere soziale Welt nun mit bestimmen werden.

Wobei Social Media interessengelenkt sind, filtern und zensieren und vieles mehr. Sie sind also nicht neutral sondern ein Kanal für Infos in Wort, Bild und Ton.

Der Historiker Gerhard Paul hat auf spiegel.de dazu gesagt »Das ist der erste Handykrieg« und weiter ist dort zu lesen: „In Echtzeit fluten Kriegsfotos soziale Medien. Sie verleiten uns zur Identifikation und zum vorschnellen Handeln, sagt Historiker Gerhard Paul. Er plädiert für eine Abkehr von der bildreichen Kriegsberichterstattung.“

Wenn sie abgeschaltet oder eingeschränkt werden, fällt die Berichterstattung von unten fast sofort und komplett weg.

Soziale Medien und Smartphones sind also wichtige Elemente der neuen medialen Zeit, die auch die Blicke von unten und die Berichterstattung von unten ermöglichen – völlig ohne Fotoreporter.

Dies ist zugleich auch Dokumentarfotografie von unten.

Sie zeigt neue Blicke, weil sie nicht die Betroffenen zeigt sondern die Betroffenen selbst zeigen ihre Blicke auf sich, auf Ereignisse und auf das Geschehen.

Und so sind wir mittendrin statt nur dabei mit völlig neuen Perspektiven.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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