Kennen Sie Dieter Hacker?
Ich kannte ihn auch nicht. Aber als ich mein Projekt Zeitgeist-Fotografie vorgestellt hatte, stieß ich Wochen danach auf einen Text. Und der war von Dieter Hacker aus dem Jahre 1974. Damit nicht genug. Er nahm 1982 an der Ausstellung Zeitgeist teil, las ich in der Wikipedia.
Zeitgeist? Genau!
Wieso holt mein Ansatz zur aktuellen Zeitgeist-Fotografie die Vergangenheit in die Gegenwart und landet bei Dieter Hacker?
Da fragt man sich dann, ob es eine Synchronizität der Ereignisse gibt oder alles nur Zufall ist.
In dem ca. 1300 Seiten dicken Werk aus dem Schirmer-Mosel Verlag zur Theorie der Fotografie gibt es ein paar wenige Seiten mit dem Text von Dieter Hacker über „Profis und Amateure“.
Der Profi
Dort lesen wir zum Beispiel: „Der Fotograf nimmt Stellung zur Wirklichkeit, wie sie ihm erscheint. Der Blick des Professional auf die Wirklichkeit gleicht dem der Nutte auf den Kunden. Er sucht sie nach Ausbeutungsmöglichkeiten ab. Der Profi steht immer zu Diensten. Aber nicht jedem. Selber ein charakteristisches Produkt unserer Gesellschaft, stellt er seine Fähigkeiten dem Teil der Gesellschaft zur Verfügung, der die Normen bestimmt. Da findet er das Geld und die Anerkennung.“
Der Amateur
Aber das ist noch nicht alles. An anderer Stelle in dem Text „Profis und Amateure“ von 1974 heisst es: „Der Amateur liebt seine Arbeit. Dieses Verhältnis zu seiner Arbeit hat für ihn viele Konsequenzen. Denn unsere Gesellschaft honoriert nicht, was wir lieben, sondern was wir für ihren Fortbestand leisten. Die Arbeit des Amateurs gilt wenig. Da er seine Arbeit macht, um ein persönliches Bedürfnis zu befriedigen, bleibt er in der Regel auch der wichtigste Nutznießer seiner Arbeit… Der Amateur ist für die Industriegesellschaft nur interessant, sofern man mit ihm Geschäfte machen kann. Beim Fotoamateur ist das so. Unermüdlich und mit Hilfe von Werbeanzeigen, Großplakaten, Fotomagazinen, Fotoausstellungen, Fotobüchern und Sondereinlagen der illustrierten Zeitungen werden die Leute zum Fotografieren angeregt.“
Revolution und Kunst
Und dann kommt das Geheimnis der Kunst und der Revolution: „Befreit davon, Waren produzieren zu müssen wie der Profi, hat der Amateur die Chance, durch seine Arbeit zu wichtigen Einsichten zu kommen und sie, unberührt von den Interessen professioneller Multiplikatoren vermitteln zu können. Was dem Berufskünstler kaum gelingt, nämlich die Realisation seiner Intentionen; was ihm deshalb nicht gelingt, weil sich aus dem wahren Charakter des Kunstwerkes Zwänge ergeben, denen er sich schwer entziehen kann, ist für den Amateur kein Problem, denn er muß von seiner Amateurarbeit nicht leben.
Amateurarbeit, die sich von ihrer Fixierung an die Arbeit der Profis befreit, könnte eine Ahnung davon vermitteln, was nicht entfremdete Arbeit ist und so eine wichtige Utopiefunktion erfüllen. Nicht vergessen: die Revolution ist die Arbeit von Amateuren.“
Knapp 40 Jahre später
Dass man bei der Beschäftigung mit der Theorie und Praxis der Fotografie auf solche Gedanken stößt, ist schon bemerkenswert. Wie aktuell sind diese Gedanken und wie aktuell ist seine Bestandsaufnahme der damaligen Realität von Profis und Amateuren?
Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, dann kann man eigentlich nur feststellen, dass die Feststellungen von 1974 seitdem ausgebaut und verfeinert worden sind.
Die Wahrnehmung der Wirklichkeit hat durch die Massenmedien eine Veränderung erfahren.
Wahr und wirklich?
Wahr ist nicht mehr, was wirklich ist, sondern vielfach in der Wahrnehmung nur das, was medial vermittelt wird. Die digitale Dimension kam hinzu, zur Zeit als Chance und Risiko.
Die Schlüsselrolle
Aber die Rolle des Amateurs?
Das ist die Schlüsselrolle in diesem Text, der natürlich viel länger und ausführlicher ist als hier durch drei Zitate dargestellt werden kann.
Doch meine Fokussierung auf die Themen Profi, Amateur und Fotokunst ist das Dreieck der Debatte, um die es in Theorie und Praxis geht.
Die Rolle der Dokumentarfotografie
Da hinein gehört auch die Frage nach der Dokumentarfotografie. Sind Amateure die eigentlichen Dokumentarfotografen? Mir scheint es fast so. Denn mit Dokumentarfotografie läßt sich kaum Geld verdienen.
Die Themen gestalteter Dokumentarfotografie halten oft eine Wirklichkeit fest, die selbst von den Beteiligten entweder anders wahrgenommen wird oder oft lieber anders gesehen wird.
Und es sind nicht nur die Themen der Mächtigen sondern auch der Ohnmächtigen. Ist Dokumentarfotografie Geschichte von unten? Wenn, dann sicherlich nur zum Teil.
Aber genau daraus erwachsen die Dinge, die heute wichtiger werden.
Denn Liebe, Leidenschaft und Lebenszeit sind Eigenschaften, die die Arbeit der Amateure auszeichnen, nicht die der Profis. Und daraus erwächst fotografisch und individuell der Geist, der Hoffnung schafft.
So landen wir mitten im Thema Fotografie ganz plötzlich bei Grundfragen, die uns aktuell alle angehen.
Da bekommt der Satz „Wer fotografiert, hat mehr vom Leben“ eine völlig neue Bedeutung.
Die wachsende Bedeutung der Amateure
Weil zudem Fotokunst immer wichtiger wird als verkaufbares Produkt, wird die Bedeutung der Amateure zunehmen für Fotos und Fotokunst – in der Kunst und als Kunden der Fotoindustrie.
Und auch hier bemerken wir, dass die Produzenten der Ware Fotokunst versuchen, sich als Profis dieser Szene von den Amateuren abzugrenzen. So beginnt eine weitere Drehung mit denselben Mechanismen.
Und deshalb scheint es so zu sein, dass die Zukunft der Fotografie und die Zukunft der Welt nur von Amateuren gestaltet werden kann – und nicht von Profis, oder?
Nachtrag: Sechs Jahre nach diesem Artikel gab es eine interessante Ausstellung über Dieter Hacker.
6 thoughts on “Die Kunst und die Revolution sind das Werk von Amateuren oder warum die Gedanken von Dieter Hacker so aktuell sind”