Milieufotografie heute oder der Zille Faktor in der Dokumentarfotografie

Zille sein Milljöh waren die Armen und die Arbeitenden, wobei meistens eine Personenidentität vorlag.

Seine Region war Berlin.

Das Milieu gab es aber überall.

Unter Milieu werden die sozialen Bedingungen von Menschen und die dazugehörigen Schauplätze verstanden.

Zille zeichnete und fotografierte.

Heute gibt es die verschiedenen Milieus auch überall zu sehen.

Daher dachte ich mir, ich arbeite mit meinem persönlichen  Zille-Faktor durch digitale Filter, um Fotos wie Zeichungen aussehen zu lassen und verschiedene Wirkungen zu verstärken.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Mir gefällt dies sehr gut. Leider gibt es außer Zille selbst keine Entsprechungen. Aber vielleicht ist es nun an der Zeit, um dieses Thema neu anzupacken.

Wenn wir heute Armut fotografieren, Menschen in ihrem sozialen Umfeld oder Strassenszenen, dann diskutieren wir immer über das Thema Recht am eigenen Bild und sprechen über Strassenfotografie bzw. Streetphotography.

Das ist es aber nicht.

Einen Schritt weiter findet in meinen Augen die gestaltende Deutung der Wirklichkeit mit digitalen Filtern an.

Meine Richtung dafür ist weg von der superscharfen Abbildung und hin zur detailgetreuen digitalen Zeichnung, die mehr ist als ein Comic.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Milieustudien sind nicht nur Armutsstudien sondern zeigen Menschen in ihrem Umfeld mit der Kleidung und den Dingen, die real da sind.

Zille selbst fotografierte monochrom bzw. schwarzweiß und malte ebenso schwarzweiß, aber auch bunt.

Da ist dann die Schnittmenge.

Die manchmal durch den Einsatz digitaler Filter übertriebene Dominanz einzelner Bildteile ist dann natürlich gewollt.

Interessant ist dabei die Frage, wie zeigt man Wirklichkeit?

Heinrich Zille zeigte sie durch seine Zeichnungen und nebenbei in seinen Fotos.

Ich zeige sie teilweise bewußt durch die digitalen Filter.

Für mich sind solche Fotos die Fotos mit Zille-Faktor:

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Es ist meine spezielle Form von Fotografie und photographischer Kunst. Ich finde dies alles oft ausdrucksstärker als  viele andere Fotos.

Es ist Milieufotografie und da finde ich diese Darstellungsweise sehr spannend.

Weil ich sehr viel im lokalen öffentlichen Raum von Remscheid, Solingen und Wuppertal fotografiere, habe ich diese Art der Fotografie mit lokalem Bezug auch Wupperart genannt.

Klaus Staeck hat sich einmal zu Heinrich Zille geäußert:

„Heinrich Zille ist ja jemand, von dem alle glauben, sie würden ihn kennen. Man kennt seine derben, wunderbaren Karikaturen, Zeichnungen, jeder hat einen anderen Begriff dafür, aber das ist nur ein Teil von Zille. Er war ein Avantgardist, vor allen Dingen als Fotograf. Für uns heute ist er jemand, der wie kaum ein Zweiter die sozialen Verhältnisse um die Jahrhundertwende und Anfang des letzten Jahrhunderts dargestellt hat, satirisch zum Teil, aber eben auch vor allen Dingen sozialkritisch….

Heinrich Zille ist insofern modern, als er durch seine Fotos jemand war, der neue Wege gewiesen hat. Und er ist modern insofern, als er uns daran erinnert, dass die Kunst auch eine Aufgabe hat, indem sie den Teil der Wirklichkeit beschreibt, den wir am liebsten verdrängen wollen. Das ist das Elend, das ist Kinderarmut, das ist auch Verwahrlosung in vielerlei Hinsicht. Wir reden heute immer alle über Jugendgewalt etc. Es gibt Themen, die bleiben.“

Was mir wichtig ist, das ist die klärende Distanz. Durch Abstand den Zusammenhang besser sehen oder durch Abstand klarer sehen. Das ist es, was ich bei dieser Art der Fotografie empfinde.

Ich erhöhe den Abstand, ohne die Wirklichkeit zu verfälschen, um mit Distanz den Blick zu schärfen.

Das ist interessanterweise die Art von Fotos, die sich bei mir ungeplant aber durch Interaktion mit Menschen und Situationen und digitaler Technik entwickelt hat.

Es ist aber nicht die einzige Art von Fotos, die ich mache.

Meine anderen Wege habe ich hier beschrieben.

Es kommt immer auf die Situation und die Aussage an.

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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