Strassenfotografie als Kunstwerk und das Recht der Abgebildeten zwischen Abwägung und Atmosphäre

Auf berufsfotografen.com schreiben die Anwälte Dorothee Thum und Frank Richert u.a. folgendes:

„Denn da Streetfotografie gerade davon lebt, Atmosphäre und Geschehen eines öffentlichen Ortes in Momentaufnahmen einzufangen und somit nahezu jedes sichtbare (fremde) Werk stimmungsbildend für die konkrete Fotografie ist, liefe die Beiwerksregelung nach § 57 UrhG im Bereich der Streetfotografie im Ergebnis ansonsten leer. Es sollte daher zwischen dem gezielten Arrangement im Rahmen einer kommerziellen Produktpräsentation einerseits und dem künstlerischen Einfangen eines zufällig vorgefundenen Moments, wie er für die street photography charakteristisch ist, unterschieden werden. Der Straßenfotograf greift nicht dramaturgisch in das Geschehen ein, sondern er fängt einen vorgefundenen dramaturgischen Moment mit der Kamera ein….

Besondere Aufmerksamkeit ist bei der Streetfotografie schließlich auch stets der Abbildung von Personen zu widmen.

Hierbei sind nunmehr seit 2018 – jedenfalls im Bereich der Digitalfotografie – insbesondere die Vorgaben der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu beachten. Die Verwertung von Personenfotografien bedarf danach stets einer Berechtigung (Art. 6 DSGVO). Neben der Einwilligung und der Vertragserfüllung kennt die DSGVO vor allem eine Rechtfertigung bei Vorliegen berechtigter Interessen (Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO).

Ob „berechtigte Interessen“ vorliegen, ist anhand einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen. Gegenüberzustellen sind die Interessen des Abgebildeten am Schutz seiner personenbezogenen Daten und die Interessen des Fotografen im Rahmen seines Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit. Zur letzteren zählen auch journalistische, wissenschaftliche, literarische oder eben auch künstlerische Zwecke.

Diese Aufzählung erinnert dabei zwar an die deutsche Regelung des Kunsturhebergesetzes (§§ 22f. KUG). Es ist derzeit jedoch sehr umstritten, ob die Regelungen des KUG nach Inkrafttreten der DSGVO überhaupt noch anwendbar sind. Auf die Einzelheiten soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. (Hierüber berichteten wir schon im Beitrag: „Personenfotos nach DSGVO – was muss ich als Fotograf beachten„). Auch wenn die grundsätzlichen Wertungen des KUG sowie der „alten“ deutschen Rechtsprechung zum KUG die zukünftigen Entscheidungen der deutschen Gerichte beeinflussen werden, steht jetzt schon fest, dass die Letztentscheidung der Europäische Gerichtshof treffen wird. Denn die DSGVO ist europäisches Recht.

Bei der Anwendung der DSGVO auf Straßenfotografien wird dabei in Zukunft auch den Grundrechten gemäß der Europäischen Grundrechtecharta, insbesondere der Kunstfreiheit eine besondere Bedeutung zukommen (Art. 13 GRCh). Denn obwohl Straßenfotografien regelmäßig „nur“ ein unverfälschtes Abbild der Realität wiedergeben wollen, handelt es sich aufgrund der vom Fotografen getroffenen „bewussten Auswahl des Realitätsausschnitts“ und „Gestaltung mit fotografischen Mitteln“ bei Straßenfotografien gleichwohl um „freie schöpferische Gestaltungen“ und somit um Kunstwerke. Dies hat kurz vor Inkrafttreten der DSGVO das Bundesverfassungsgericht zur parallelen Vorschrift des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 3 GG) festgestellt (BVerfG, 08.02.2018 – 1 BvR 2112/15). Denn auch in Straßenfotografien werden „Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache, hier der Fotografie, zur Anschauung gebracht.

So, nun habe ich bis hierhin zitiert.

Nun könnten mir Juristen ja vorwerfen, daß ich widerrechtlich ihren Text zu lang zitiert habe. Umgekehrt bin ich aber verpflichtet im Rahmen eines Artikels so zu zitieren, daß das Zitat vom Sinn her nicht verfremdet wird und falsch verstanden werden kann. Wenn ich nun den Text nur paraphrasieren würde, könnte man mir vorwerfen, daß ich ihn falsch oder unvollständig wiedergegeben habe.

Da es mir hier auf den Zusammenhang von Straßenfotografie und Kunstwerk ankommt und in dem Text selbst Rechtsprechung und Gesetz zitiert werden, halte ich den von mir so zitierten Textausschnitt für sachgerecht.

Abgesehen davon habe ich ja auf die Webseite verlinkt, auf der der gesamte wesentlich umfangreichere Text zu finden ist.

Warum habe ich das überhaupt gemacht?

Weil ich an einem Beispiel aus der Fotopraxis zeigen will, wie ich das für mich umgesetzt habe.

Da ich hier als Amateur ohne irgendeine materielle oder immaterielle Gegenleistung schreibe, geschieht dies eher aus Analyse- und Übungsgründen.

Ich habe eine Wasserspielinsel in der Fußgängerzone aufgenommen. Da der Charakter dieser Insel so ist, daß dort auch und gerade mit dem Wasser gespielt werden kann, habe ich versucht den Schwerpunkt auf dem Wasserspiel zu halten und Personen so gut wie möglich nur als Beiwerk oder eher schemenhaft einzufangen. Hinzu kommt die bewußte Gestaltung des Fotos wie z.B. die Dreiteilung. Abstand wg. Corona prägt das untere Drittel, das Wasserspiel ist im Zentrum und im zweiten Drittel und die Atmosphäre auf der Fußgängerzone im oberen Drittel und vieles mehr.

Das Ergebnis sieht so aus:

Ich halte dieses Foto für genau so ein Kunstwerk wie oben juristisch beschrieben und rechtfertige damit auch die mögliche Erkennbarkeit von einigen Personen.

Denn nur durch die relativ vielen sichtbaren Personen und die erkennbar ruhige Atmosphäre der Menschen wird das Umfeld dieser Momentaufnahme richtig deutlich.

Die entspannte Atmosphäre wird einerseits durch die spielenden Kinder deutlich im Schutz der „Eltern“ und andererseits sind die „Eltern“ entspannt, weil die Kinder spielen. Hinzu kommen alle anderen sichtbaren Personen, die ebenfalls entspannt wirken.

Wenn ich nun alles ausschließen will, was irgendwie neben der Sichtbarkeit eine persönliche Erkennbarkeit ermöglicht, müßte ich das Foto sehr beschneiden.

Das sieht dann so aus:

Hier sind Menschen sichtbar aber nicht erkennbar. Aus meiner Sicht wird nun mehr auf die spielenden Kinder fokussiert und ihre Dominanz wird größer. Ich wollte aber eigentlich das Wasserspiel in der Fußgängerzone zeigen. Hier sieht man stattdessen spielende Kinder irgendwo. Den Ort müßte man erst dazuschreiben.

Die Kinder sind zwar anonym aufgenommen aber es ist ein ganz anderes Foto mit einer ganz anderen Betonung.

Insofern ist für mich das erste Foto mit dem bewußt gewählten Ausschnitt ein Kunstwerk der Straßenfotografie im oben beschriebenen Sinne und das zweite Foto eher nicht.

Ich finde den oben zitierten Textausschnitt ziemlich gelungen, weil ich mit seiner Hilfe dies nun genau in der Fotopraxis umsetzen konnte und ich würde sagen, daß nach meiner Interessenabwägung in diesem Fall das Zeigen dieses Fotos als künstlerisches Straßenfoto erlaubt ist.

Ich halte es auch für ein Kunstwerk, weil es Überzeitliches, Aktuelles und Konkretes in dieser Situation festhält und so gestaltet ist, daß es auch visuell ein Augenschmaus ist.

Aber das ist dann eben auch Geschmackssache.

Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Ich will nur Eine zeigen:

Dieses Foto ist als Pinhole verfremdet, also als alte Lochkamera mit der Schärfe nur noch auf dem Wasserspiel. Die individuellen Gesichter sind so nicht mehr erkennbar sondern nur noch typisierte Elemente. Aber das wäre eine Bearbeitung und ein anderes Foto, weil ich hier nicht mehr den Augenblick zeige, sondern meine nachträgliche Bearbeitung davon. Und auch die Atmosphäre der Fußgängerzone kommt nicht mehr so rüber.

Damit möchte ich diese konkrete Fotobesprechung beenden.

Man stelle sich nun vor, man müßte jedes Foto so abwägen.

Dann macht Fotografieren wahrscheinlich keinen Spaß mehr!

Daher ist es einfacher, wenn man so fotografiert, daß sich diese Frage wohl gar nicht erst stellt.

Solange man als Amateur fotografiert und Streetfotografie nicht mit Spannerfotografie verwechselt, dürften sich mögliche Konflikte und evtl. Kosten im Rahmen halten.

Ich persönlich plädiere aber für das unauffällige Fotografieren nach der Fineart-Streetfotografie, weil dann diese Probleme fast nicht vorkommen können.

Dies praktiziere ich seit einigen Jahren und ich habe immer wieder online gezeigt, wie ich das fotografisch umsetze. Die letzten Fotos sind hier verlinkt zu sehen.

Zuletzt möchte ich noch auf drei Bücher hinweisen, die ich mal gelesen habe:

1. Meine Rechte als Urheber

2. Recht für Fotografen von Wolfgang Rau in der aktuellen Ausgabe

3. Fotografie und Recht von Sebastian Deubelli

Eigentlich habe ich diesen Text 2021 für mich selbst geschrieben, um mental das richtige aktuelle Problembewußtsein zu haben beim fotografischen Sehen, wenn ich in der nächsten Zeit wieder draußen bin.

Daher gibt dieser Text nur meine persönlichen Gedanken mit verlinkten Nachweisen wieder als freundliches geistige Leihgabe von mir an mögliche Leserinnen und Leser.

Denn umgekehrt wird ja so auch deutlich wie man fotografieren kann, um  mögliche Konflikte zu vermeiden. Das geht ziemlich einfach, wenn man das beherzigt, was ich hier im Text verlinkt gezeigt habe.

Aber wenn man in diesem Rechtskreis eine Straßenszene so gestaltet aufnehmen will, um bewußt einen Moment als Ausschnitt der Realität so vielfältig festzuhalten, weil sonst die vorhandene Atmosphäre nicht rüberkommt, dann könnte man vielleicht eine Interessenabwägung so vornehmen, wie dies oben zitiert und von mir hier konkret praktiziert wurde. In anderen Fällen hat diese Interessenabwägung bei mir nämlich dazu geführt, daß ich die Fotos in der digitalen Schublade gelassen habe oder manches Foto nur im Kopf war und nicht aufgenommen wurde.

Das ist letztlich auch gut für das eigene fotografische Bewußtsein und den eigenen fotografischen Blick.

In diesem Sinne …

Text V1.1

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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