Die Leica Welt oder über Armut, Abstand und Anderes jenseits der Grenze …

Eine gedankliche Skizze

Mir gefällt die Leica Welt. Das ist allerdings erst so richtig der Fall seit ich Fotografieren lernte und mein Lehrer Henri Cartier-Bresson wurde. Rückblickend hatte ich mir eine analoge gebrauchte Leica CL gekauft, die ich wirklich gern benutzte und dann war ich der Meinung, daß der echte Dokumentarfotograf auch eine Leica M6 braucht – weil Cartier-Bresson diese und frühere Versionen hatte…

Tatsächlich habe ich diese Kamera kaum genutzt, weil ich mit der analogen Leica CL und dem Messsucher darin bestens zurechtkam. Aber ich hatte mein „gutes Stück“ Kamera. Ich war dabei!

Real nutzte ich parallel und meistens da schon digitale Kompaktkameras von Sony und später Lumix.

Dann kam der Wandel.

Leica wankte und ich lief den Versprechen der Kameraindustrie hinterher und hoffte bei jeder neu gekauften digitalen Kamera auf eine vergleichbare Fotoqualität wie bei analoger Filmentwicklung. Das dauerte aber länger als gedacht und kostete mich mehr als ich glaubte.

Ungefähr ab 2008 bis 2010 waren 8 Megapixel mit Sensoren durchgängig so nutzbar, daß eine Gleichwertigkeit mit analoger Filmentwicklung beim Druck da war und dann ging es ja sprunghaft weiter, eher weg vom Druck und hin zum Monitor.

Ich war froh, weg vom Film zu sein, verkaufte meine beiden Leica Kameras und fand mich digital glücklich bei Fuji wieder.

Erstmals im meinem Leben kaufte ich für 1.000 Euro eine Fuji X100 – für mich eine ungeheure Summe.

Sie war das, was Leica nie geschafft hat in digitalen Zeiten. Aber sie war für mich auch ein Symbol für eine neue Zeit.

Dann kam ein Feuerwerk an neuen Digitalkameras und parallel dazu wurde die Welt mit immer mehr Smartphones überschwemmt.

Leica wurde wiederbelebt und dort erschuf man eine neue Welt in digitalen Zeiten.

Die soziale Leica-Welt ist das, was mir fehlt, möchte ich jetzt schreiben.

Aber wie will man dazugehören, wenn man nicht dazugehört?

Wie gerne wäre ich in der LFI Gallerie und im M Bereich! Aber dazu braucht man eben „echte“ Leicas. Und die fangen mittlerweile erst bei ca. 5000 Euro an. Und dann ist es keine M sondern eine Q mit einem ganz normalen Videosucher.

(Es gibt eine Ausnahme …)

Aber um richtig dazuzugehören, braucht man mehr inklusive Monochromsensoren und Modellvarianten. Zudem muß man dann auch mit seinem Equipment die Leica-Welt besuchen und sich treffen, man muß online dabei sein und Seminare und Vorträge hören. Das Mekka von Leica ist Wetzlar mit Hotel und Shop…

Allein die Aufzählung der Investitionen in Geräte und Dienstleistungen, die ich gerade aufgeschrieben habe, ist so teuer, daß ich als ehrlicher und fleißiger Mensch durch Arbeit heute nie finanziell dazugehören kann.

Wer nur eine M hat, ist nichts als ein Mängelexemplar in dieser Welt.

Dabei sein können heute aber schon 19jährige wie der 2003 geborene Elias Maria, wie ich auf meinem Smartphone gesehen habe:

Mit 20 bis 50 tausend Euro ist man also überschlägig dabei, wenn man echt bei Leica sein will…

Ich habe da in meinem Leben wohl vieles falsch gemacht. Mit 19 hatte ich mein Abitur, machte 24 Monate Dienst für Deutschland und fuhr einen 15 Jahre alten Käfer.

So ist Leica heute für mich ein Symbol der Ausgrenzung geworden. Aber das ist wohl gewollt.

Wenn ich Henri Cartier-Bresson fotografisch in die digitale Zeit übertrage, dann müßte er heute wohl andere Fotogeräte nutzen,  um in sozialen Situationen unauffällig zu fotografieren.

Und Henri Cartier-Bresson würde heute auch eher Mr. White heißen.

Ich persönlich halte heute nach den damaligen Kriterien eine andere Kamera für die neue „Leica“ mit Kleinbildfaktor.

Das ist die Sony Alpha 7 C. Sie ist ebenso unerreicht wie die Fuji X100.

Die Sony Alpha 7c ist ein Meilenstein. Sie hat digital alles das, was damals in analoger Filmzeit die Leica von Henri Cartier-Bresson ausmachte: klein, leicht, mit Kleinbild und großartige fotografische Qualität.

Aber ich schreibe natürlich aus der Sicht eines Fotografierers und ich schreibe mit dem Blick aus einer vergangenen Zeit.

Wer heute mit dem Fotografieren anfängt, drückt den virtuellen Knopf im Smartphone.

Meine Sicht und mein Leben mit Henri Cartier-Bresson sind da nur noch eine Randnotiz am Wegesrand der neuen fotografischen Möglichkeiten, von denen viele einfacher sind als damals.

Hinzu kommen die gewandelten sozialen Bedingungen.

  • Unauffällig zu fotografieren ist heute fast nur noch mit dem Smartphone möglich, weil sich die soziale Wahrnehmung völlig verändert hat.
  • Eine gute Bildqualität am Monitor gibt es heute mit jedem etwas besseren fotografischen Gerät, zumal es dann noch auf den Monitor ankommt.
  • Und Smartphones bieten bei Motiven eine Nähe, Spontanität und Schnelligkeit, die mit Kameras eher nicht möglich ist.

Da ich viele Jahre über die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie geschrieben habe, ist es interessant zu sehen, daß die Bilderflut von heute immer weniger nach dem benutzten fotografischen Gerät fragt, sondern nach dem Zweck der Fotos, während man bei der Ergänzung zum Smartphone durch Fotoapparate heute meistens auf Mr. White trifft: „Jetzt ist Liebhaberei die Eigenschaft, die Absatz schafft. Es sind einerseits definierte Gruppen, zu denen man nur gehören kann, wenn man bestimmte Produkte gekauft hat und es sind andererseits Eigenschaften bestimmer Produkte, die dazu führen, daß man sie haben will.“

Und da kommt Leica ins Spiel mit einer erstklassigen Mannschaft, die alles bietet, was alle anderen Mitspieler weder online noch offline anbieten: den Platz, wo man sich fotografisch zu hause fühlt.

Leica hat aus social ein echtes soziales Miteinander geformt für die AnwenderInnen seiner Produkte.

Fotografisch finde ich Fuji und Sony für mich heute besser, sozial finde ich die Leica Welt wesentlich attraktiver.

Das Glück besteht nicht darin es nicht zu haben sondern ohne es zu sein, habe ich mal geschrieben.

Nun denn!

Das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu.

Dieser Text dient der Reflexion und gibt meine persönliche Sicht wieder. Wie man hier lesen kann, haben die letzten 20 Jahre so viele Veränderungen in der fotografischen Welt gebracht, daß bis jetzt kein Stillstand war und die nächsten 20 Jahre nicht unbedingt vorausgesagt werden können.

Da bin ich mal gespannt…

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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